Prof. Dr. Hans-Friedrich Lange
Leitsatz
1. Bestellt das Insolvenzgericht einen sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter, ist der Steuerbetrag für die steuerpflichtigen Leistungen, die der Unternehmer bis zur Verwalterbestellung erbracht hat, nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG wegen Uneinbringlichkeit zu berichtigen (erste Berichtigung).
2. Eine nachfolgende Vereinnahmung des Entgelts durch den sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter führt gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung des Steuerbetrages und begründet eine Masseverbindlichkeit i.S.v. § 55 Abs. 2 Satz 1 InsO.
Normenkette
§ 17 Abs. 2 Nr. 1 UStG, Art. 90 MwStSystRL, §§ 21 bis 24, § 27, § 55, § 80, § 82 InsO
Sachverhalt
Das AG ordnete über das Vermögen einer GmbH die vorläufige Insolvenzverwaltung an und bestimmte den Kläger zum sog. starken vorläufigen Insolvenzverwalter, indem es der GmbH gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1 InsO ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegte. Später wurde das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.
Der Kläger vereinnahmte nach seiner Bestellung zum starken vorläufigen Insolvenzverwalter Entgelte für Leistungen, die die GmbH vor der Anordnung der vorläufigen Insolvenzverwaltung ausgeführt hatte.
Er vertrat die Auffassung, die darauf entfallende USt sei – entgegen der Rechtsprechung des BFH – nicht als umsatzsteuererhöhender Steuerbetrag gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu berücksichtigen. Dem folgte das FA nicht.
Das FG gab der Klage statt (FG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 2.4.2014, 7 K 7337/12, Haufe-Index 6754220, EFG 2014, 1427).
Entscheidung
Die Revision des FA war begründet. Der BFH hob das Urteil des FG auf und wies die Klage ab.
Nach der Rechtsprechung des BFH werden noch ausstehende Entgelte für zuvor erbrachte steuerpflichtige Leistungen eines Unternehmers gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 UStG uneinbringlich, wenn über sein Vermögen gemäß § 27 InsO das Insolvenzverfahren eröffnet wird. Denn gemäß § 80 Abs. 1 InsO geht durch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens das Recht des Schuldners, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen zu verwerten oder über es zu verfügen, auf den Insolvenzverwalter über.
Ebenfalls vom BFH bereits geklärt war, dass dasselbe gilt, wenn das Insolvenzgericht – vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens (§ 27 InsO) – gemäß § 21 InsO einen vorläufigen Insolvenzverwalter mit allgemeinem Zustimmungsvorbehalt und mit Recht zum Forderungseinzug bestellt.
Nunmehr hat der BFH entschieden, dass nichts anderes für die im Streitfall vorliegende Bestellung eines starken vorläufigen Insolvenzverwalters (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1 InsO) gilt. Denn wenn ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt und dem Schuldner ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt wird (§ 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1 InsO), so geht gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis über das Vermögen des Schuldners auf den (starken) vorläufigen Insolvenzverwalter über. Die rechtlichen Befugnisse des starken vorläufigen Insolvenzverwalters entsprechen denjenigen eines Insolvenzverwalters, der ebenfalls berechtigt ist, das zur Insolvenzmasse gehörende Vermögen des Schuldners zu verwalten und über es zu verfügen.
Die Vereinnahmung der zuvor uneinbringlich gewordenen Entgelte durch den Kläger führe nach der Rechtsprechung des BFH gemäß § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG zu einer zweiten Berichtigung. Die Kritik des FG an dieser Rechtsprechung sei nicht gerechtfertigt.
Hinweis
Nach § 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 UStG ist der Steuerbetrag für steuerpflichtige Ausgangsleistungen des Unternehmens zu berichtigen, wenn das vereinbarte Entgelt uneinbringlich geworden ist.
Wird das Entgelt für eine uneinbringliche Forderung nachträglich vereinnahmt, sind Steuerbetrag und Vorsteuerabzug erneut zu berichtigen (§ 17 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 UStG), und zwar im Zeitpunkt der Vereinnahmung (§ 17 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 7 UStG).
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 1.3.2016 – XI R 21/14