Leitsatz
1. Die für die sog. fiktive unbeschränkte Steuerpflicht nach § 1 Abs. 3 und § 1a Abs. 1 EStG maßgebende Höhe der Einkünfte in § 1 Abs. 3 Satz 2 und § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG ist nach deutschem Recht zu ermitteln. Ein negativer Nutzungswert aus einer in einem Mitgliedstaat der EU (hier: in den Niederlanden) eigengenutzten Wohnung ist danach in Deutschland nicht steuerbar und deswegen unabhängig von seiner Besteuerung in den Niederlanden in die Berechnung der betreffenden Einkünfte nicht einzubeziehen. Anders verhält es sich bei (hier:) niederländischem Arbeitslosengeld, das in den Niederlanden besteuert wird; solche Einkünfte sind in Deutschland als sonstige Einkünfte aus wiederkehrenden Bezügen i.S.v. § 22 Nr. 1 EStG steuerbar und als nicht der deutschen ESt unterliegende Einkünfte auch dann in die Berechnung der nach § 1 Abs. 3 Satz 2 und § 1a Abs. 1 Satz 3 EStG maßgebenden Einkünfte einzubeziehen, wenn vergleichbare Einkünfte im Inland (nach § 3 Nr. 2 EStG) steuerfrei sind.
2. Ein Verstoß gegen unionsrechtliche Grundfreiheiten liegt weder in dem einen – der Nichteinbeziehung des Nutzungswerts der eigengenutzten Wohnung in den Niederlanden als in Deutschland nicht steuerbare Einkünfte – noch in dem anderen – der Berücksichtigung des in den Niederlanden von der Klägerin bezogenen Arbeitslosengeldes als nicht der deutschen ESt unterliegende Einkünfte.
Normenkette
§ 1 Abs. 3, § 1a Abs. 1 Nr. 2, § 2 Abs. 1 und 2 EStG, Art. 45 AEUV
Sachverhalt
Die verheirateten Kläger sind deutsche Staatsangehörige und hatten ihren Wohnsitz in den Streitjahren 2005 und 2006 in den Niederlanden.
Der Kläger bezog in jenen Jahren im Inland Einkünfte aus nicht selbstständiger Arbeit sowie negative Einkünfte aus der Vermietung einer Eigentumswohnung. Die Klägerin bezog Einkünfte in den Niederlanden, u.a. aus niederländischem Arbeitslosengeld, aus einer Berufsunfähigkeitsrente und einer privaten Unfallversicherung sowie aus eigengenutztem Wohnraum.
In ihren Steuererklärungen beantragten die Kläger, nach § 1 Abs. 3 EStG als unbeschränkt einkommensteuerpflichtig behandelt und hierbei nach Maßgabe von § 1a Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 1 und § 26b EStG zusammen zur ESt veranlagt zu werden.
Das FA folgte dem nicht und führte für den Kläger Einzelveranlagungen durch. Er setzte bei der Prüfung der Einkunftsgrenzen in § 1 Abs. 3 Satz 2 und § 1a Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 EStG die Berufsunfähigkeitsrente und die Rente aus der privaten Unfallversicherung an, daneben aber auch das Arbeitslosengeld, und ließ die geltend gemachten Verluste im Zusammenhang mit der eigengenutzten Wohnung außer Ansatz. Die besagten Einkunftsgrenzen wurden dadurch überschritten.
Die anschließende Klage war erfolglos (FG Köln, Urteil vom 11.12.2012, 1 K 4165/09, Haufe-Index 3677039, EFG 2013, 763).
Entscheidung
Der BFH hat das FG bestätigt. Im Hinblick auf die Klägerin schon deswegen, weil es auf sie bezogen an einem behördlichen Vorverfahren fehlte. Und im Hinblick auf den Kläger, weil er die Einkunftshöchstgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG nicht unterlief. Einzelnes ergibt sich dazu aus den Praxis-Hinweisen.
Hinweis
1. Beanspruchen Eheleute den Vorteil des Ehegatten-Splittings gemäß §§ 26, 26b EStG, dann schadet es zwar nicht, wenn einer der Ehegatten in einem anderen EG-Mitgliedstaat wohnt. Gleiches gilt, wenn der eine oder der andere Ehegatte im Inland arbeitet und unter den Voraussetzungen des § 1 Abs. 3 EStG beantragt, im Inland als fiktiv unbeschränkt steuerpflichtig behandelt zu werden.
2. Erforderlich für letzteres ist aber, dass die Eheleute die Einkunftsgrenzen des § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG einhalten. Und danach dürfen die Einkünfte beider Ehegatten im Kalenderjahr – erstens (= relativ) – mindestens zu 90 % der deutschen ESt unterliegen oder – zweitens (= absolut) – die nicht der deutschen ESt unterliegenden Einkünfte den Betrag von 12.272 EUR nicht übersteigen.
3. Die innerhalb dieser Grenzen bestimmten Einkünfte sind nach deutschem Recht zu ermitteln, was ein zweistufiges Vorgehen erfordert: Zunächst ist das Welteinkommen beider Ehegatten unter Einschluss aller steuerbaren und steuerpflichtigen Inlands- und Auslandseinkünfte zu ermitteln. Sodann sind jene Einkünfte auszusondern, die nicht der inländischen "Besteuerung unterliegen".
Unberücksichtigt bleiben bei der Ermittlung der Einkünfte nach § 1 Abs. 3 Satz 2 EStG allerdings nicht der deutschen ESt unterliegende Einkünfte, die im Ausland nicht besteuert werden, soweit vergleichbare Einkünfte im Inland steuerfrei sind (§ 1 Abs. 3 Satz 4 EStG i.d.F. des JStG 2008). Diese Regelung gilt auch für VZ vor 2008, soweit Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind (§ 52 Abs. 1a EStG i.d.F. des JStG 2008).
4. Im Urteilsfall arbeitete der Ehemann in Deutschland und erzielte dort Einkünfte aus nicht selbstständiger Tätigkeit sowie aus VuV einer inländischen Eigentumswohnung. Beide Eheleute lebten in den Niederlanden, wo die Klägerin Einkünfte u.a. aus niederländischem Arbeitslosengeld, aus einer Berufsunfähigkeit...