1 Arbeitsrecht
1.1 Darf es für unregelmäßige Nachtarbeit höhere Zuschläge geben?
Bundesarbeitsgericht, Urteil v. 22.2.2023, 10 AZR 332/20, EuGH, Urteil v. 7.7.2022 in den Verfahren C-257/21 und C-258/21, Bundesarbeitsgericht, Beschluss v. 9.12.2020, 10 AZR 332/20 (A); Vorinstanz: Landesarbeitsgericht Berlin-Brandenburg, Urteil v. 12.6.2020, 8 Sa 2030/19
Viele Tarifverträge differenzieren zwischen gelegentlicher und regelmäßiger schichtplanmäßiger Nachtarbeit und sehen für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Ausgleich vor. Ziemlich unfair, zumindest aus der Sicht vieler Beschäftigter, die regelmäßig Nachtarbeit im Schichtmodell leisten. Auch im vorliegenden Fall forderte eine Schichtarbeiterin höhere Zuschläge, rund 400 weitere Klagen sind beim BAG anhängig.
2 GmbH-Gesellschafter/-Geschäftsführer
2.1 Einheits-GmbH & Co. KG: Können GmbH und KG gleichzeitig gegründet werden?
OLG Celle, Beschluss vom 10.10.2022 – 9 W 81/22
Der Beschluss des OLG Celle überzeugt. Jede andere Beurteilung widerspräche zwingender Logik. Die Einheitsgesellschaft stellt keine eigene Gesellschaftsform dar, weshalb bei ihrer Errichtung nicht die Anforderungen an die beiden sie bildenden Gesellschaften außer Acht gelassen werden dürfen. Weder kann eine noch nicht existente KG Alleingesellschafterin einer GmbH werden, noch kann eine noch nicht existente GmbH Komplementärin einer KG werden.
Vielmehr kann die Gründung der Einheitsgesellschaft, wie das OLG Celle klarstellt, anerkanntermaßen nur auf 2 Arten erfolgen. Im Falle der völligen Neugründung (wie auch im vom OLG entschiedenen Fall) ist das Übertragungsmodell vorzuziehen, da beim Beteiligungsmodell mindestens einer der Gesellschafter zeitweise als Komplementär persönlich und unbeschränkt haften müsste. Dieser Nachteil besteht beim Übertragungsmodell nicht. Existiert dagegen schon eine KG oder eine OHG, tritt dieser Aspekt in den Hintergrund und die beiden Modelle sind als gleichwertig zu betrachten.
2.2 Keine Anfechtungsbefugnis des Gesellschafters bei Feststellungsbescheiden zum steuerlichen Einlagekonto
BFH, Urteil v. 21.12.2022, I R 53/19
Die Entscheidung ist an dem Gebot der Praxis orientiert, die Besteuerungsebenen von Kapitalgesellschaft und einem großen Kreis von Anteilseignern möglichst verfahrenssicher und praktikabel aufeinander abzustimmen.
In bestimmten Fällen hat der BFH ein Drittanfechtungsrecht anerkannt, z. B. für den Einbringenden gegen den KSt-Bescheid des aufnehmenden Unternehmens oder für den Arbeitnehmer gegen den an den Arbeitgeber gerichteten LSt-Haftungsbescheid. Mit diesen Konstellationen ist die Stellung des Anteilseigners in Bezug auf den Feststellungsbescheid nach § 27 Abs. 2 KStG nicht zu vergleichen.
3 Kapitalanlage & Versicherung
3.1 Bausparvertrag: Wann fließen Bonuszinsen zu?
BFH, Urteil v. 15.11.2022, VIII R 18/20
Die Würdigung des FG in tatsächlicher Hinsicht, X habe vor dem Streitjahr noch keine wirtschaftliche Verfügungsmacht über die Zinsen erlangt, hält der BFH nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens für möglich. Sie ist daher für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindend. Dass auch eine andere Würdigung möglich gewesen wäre, steht der Bindung des BFH nicht entgegen. Insofern kommt der Sachdarstellung der Beteiligten vor dem FA bzw. dem FG besondere Bedeutung zu.
3.2 Riester-Rentenfaktor: Einseitige Herabsetzung durch den Versicherer ist rechtswidrig
LG Köln, Urteil v. 8.2.2023, 26 O 12/22
Im Ergebnis entschied das LG daher zugunsten des Versicherungsnehmers. Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig und kann mit der Berufung beim OLG angefochten werden. Nach eigenen Angaben prüft die Versicherung noch, ob sie von der Möglichkeit eines Rechtsmittels Gebrauch macht.
Das Urteil des LG könnte für viele Versicherungsnehmer eines fondsgebundenen Riester-Vertrags von Bedeutung sein. Der Marktführer Allianz soll laut Medienberichten allein im Jahr 2017 bei 700.000 Verträgen den Rentenfaktor gekürzt haben. Betroffene müssen ggf. schnell handeln, denn spätestens 3 Jahre nach Rentenbeginn droht die Verjährung möglicher Ansprüche. Wer zu lange auf eine entsprechende Anpassungsmitteilung nicht reagiert, riskiert darüber hinaus die Verwirkung möglicher Ansprüche.
Mit seiner Entscheidung hat das LG Köln die Stellung von Riester-Sparern deutlich gestärkt. Eine ganze Reihe von Riester-Sparern hat in der Vergangenheit eine schriftliche Mitteilung ihrer Versicherung erhalten, wonach der Rentenfaktor für die fondsgebundene Riester-Rente wegen der negativen Kapitalmarktentwicklungen gekürzt werden müsse.
3.3 Veräußerung von Kryptowährungen: Gewinne können steuerpflichtig sein
BFH, Urteil v. 14.2.2023, IX R 3/22
Die vorliegende Grundsatzentscheidung überzeugt in beiden Streitpunkten: Wirtschaftsgut und Vollzugsdefizit. Das Urteil nimmt ergänzend Bezug auf das aktuelle BMF-Schreiben betr. "Einzelfragen zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung von virtuellen Währungen und von sonstigen Token" (BStBl 2023 I S. 668). Der BFH stimmt mit der Auffassung des BMF zur ertragsteuerrechtlichen Behandlung im Privatvermögen (Rz. 53 ff.) überein. Das BMF war dem Revisionsverfahren beigetreten.
Mit der Bejahung der Steuerbarkeit von Veräußerungsgewinnen ist zugleich die Anerkennung von Verlusten aus Krypto-Geschäften verbunden. Dabei ist allerdings der eingeschränkte Verlustausgleich nach § 23 Abs. 3 Sätze 7, 8 EStG zu beachten.
Der Entscheidung ist auch hinsichtlich der Verneinung eines Vollzugsdefizits zuzustimmen. Dass es in Einzelfällen Steuerpflichtigen trotz aller Ermittlungsmaßnahmen der Finanzbehörden (z. B. in Form von Sammela...