1 Arbeitsrecht
1.1 Diskriminierende Formulierung in Absage auf Bewerbung: Entschädigungsanspruch
Landesarbeitsgericht Nürnberg, Urteil v. 13.12.2022, 7 Sa 168/22; Vorinstanz: Arbeitsgericht Nürnberg, Urteil v. 10.1.2022, 3 Ca 2832/21
1.2 Gesetzliche Unfallversicherung: Handgreiflichkeit im Straßenverkehr abgedeckt?
SG Berlin, Urteil v. 16.2.2023, S 98 U 50/21
Fazit: Der klagende Baustellenleiter hatte sich zum Zeitpunkt der Verletzung durch den Lkw-Fahrer von seiner beruflichen Tätigkeit gelöst. Ein Versicherungsfall lag deshalb nicht vor und damit auch kein Anspruch gegen die gesetzliche Unfallversicherung.
2 GmbH-Gesellschafter/-Geschäftsführer
2.1 GmbH: Wann haftet ein Geschäftsführer bei Unfähigkeit?
BFH, Beschluss v. 15.11.2022, VII R 23/19
Die objektive Pflichtwidrigkeit des Verhaltens des Geschäftsführers indiziert den haftungsbegründenden Schuldvorwurf i. S. v. § 69 Satz 1 AO. Es wäre daher Aufgabe des A gewesen, die durch die festgestellte objektive Pflichtverletzung indizierte Annahme eines grob fahrlässigen Verschuldens zu entkräften. Dies ist ihm nicht gelungen.
Der BFH wies die Rüge mangelnder Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 Satz 1 FGO) zurück. A hatte schriftsätzlich beim FG den Beweisantrag gestellt, C als Zeugen zu vernehmen. Dem kam das FG nicht nach, d. h. C wurde nicht geladen und vernommen. Da A (anwaltlich vertreten) dies in der mündlichen Verhandlung vor dem FG nicht gerügt hatte, hat er sein Rügerecht verloren. A hat (ausweislich des Sitzungsprotokolls) in der mündlichen Verhandlung weder die unterlassene Zeugenladung und -vernehmung gerügt noch den Beweisantrag wiederholt. Die Rüge mangelnder Sachaufklärung kann im Revisionsverfahren nur durchdringen, wenn der Verfahrensmangel vor dem FG geltend gemacht wurde. Etwas anderes kann bei einem fachkundig vertretenen Verfahrensbeteiligten (ausnahmsweise) nur dann gelten, wenn er aufgrund des Verhaltens des FG die Rüge für entbehrlich halten durfte (ständige Rechtsprechung).
2.2 "Sinnlose" Erklärung kann in einen Einspruch umgedeutet werden
FG Münster, Urteil v. 12.1.2023, 8 K 1080/21
Der BFH hat die Frage, ob eine Umdeutung "sinnloser" Verfahrenserklärungen möglich ist, bisher ausdrücklich offengelassen (BFH, Urteil v. 14.6.2016, IX R 11/15). Da das Finanzamt gegen die Entscheidung Revision eingelegt hat, Az. beim BFH VII R 7/23, ist nunmehr eine höchstrichterliche Klärung der Frage zu erwarten.
2.3 Vorliegen einer Organschaft auch bei Mehrheitsbeteiligung ohne Stimmrechtsmehrheit
BFH, Urteil v. 18.1.2023, XI R 29/22 (XI R 16/18)
Der andere USt-Senat (V. Senat) hat der Abweichung durch die vorstehende Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des V. Senats zugestimmt. Andernfalls hätte der XI. Senat die Frage dem Großen Senat des BFH vorlegen müssen (§ 11 Abs. 2, 3 FGO).
Zur Klarstellung weist der BFH darauf hin, dass sich dadurch nichts am Erfordernis der "eigenen Mehrheitsbeteiligung" ändert, so dass eine Organschaft zwischen Schwestergesellschaften ohne Einbeziehung des gemeinsamen Gesellschafters auch weiterhin nicht in Betracht kommt. Insoweit hält der BFH an der bisherigen Rechtsprechung unverändert fest.
3 Kapitalanlage & Versicherung
3.1 Keine Identität zwischen einer Erbengemeinschaft und aus den Miterben gebildete GbR
BFH, Urteil v. 19.1.2022, IV R 5/19
Die Frage, ob es sich bei im Zusammenhang mit einem variabel verzinslichen betrieblichen Darlehen abgeschlossenen Zins-Währungsswaps um Termingeschäfte i. S. v. § 15 Abs. 4 Satz 3 EStG handelt und ob Darlehensvertrag und Swapgeschäfte eine Bewertungseinheit bilden, ist Gegenstand beim BFH anhängiger Verfahren (Az. IV R 34/19. IV R 5/19).
Es ergeben sich unterschiedliche steuerliche Folgerungen, je nachdem, ob allein die XY in den Streitjahren existiert hat oder daneben auch noch die Erbengemeinschaft.
Soweit die Erbengemeinschaft in den Streitjahren weiterhin existiert hat, gäbe es neben der XY ein weiteres Feststellungssubjekt, an dem ebenfalls die Geschwister A, B, C beteiligt waren. Damit erwiesen sich die angefochtenen Feststellungsbescheide als fehlerhaft, soweit im Rahmen der für die XY als GbR getroffenen Feststellungen auch Besteuerungsgrundlagen berücksichtigt wurden, die richtigerweise in einem eigenständigen Feststellungsverfahren für die Erbengemeinschaft festzustellen wären. Soweit das streitbefangene "Termingeschäft" der Erbengemeinschaft zuzuordnen wäre, käme dessen Berücksichtigung im Rahmen der hier angefochtenen Feststellungsbescheide nicht in Betracht.
Soweit die Erbengemeinschaft wirksam in die XY als GbR überführt worden wäre, kämen die für eine Erbengemeinschaft geltenden Grundsätze der Abfärbung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG nicht mehr zum Tragen.
3.2 Vorbehalte in Bezug auf eine Pensionszusage sind steuerschädlich
BFH, Urteil v. 6.12.2022, IV R 21/19
Im Streitfall lagen bereits die in § 6a Abs. 1 Nr. 2 EStG geregelten Voraussetzungen für die Bildung einer (weiter gehenden) Pensionsrückstellung nicht vor, sodass die Revision der KG zurückzuweisen war. Dabei konnte der BFH offenlassen, ob insoweit (auch) die Voraussetzungen des § 6a Abs. 1 Nr. 3 EStG (Schriftform) nicht erfüllt sind. Unerheblich ist auch, dass das FG zu den Grundlagen der Bewertung der Rückstellungen keine Feststellungen getroffen hat. Denn einer Änderung der angefochtenen Bescheide zum Nachteil der KG stände jedenfalls das Verböserungsverbot entgegen, das eine Verschlechterung der Rechtsposition des Revisionsklägers im Vergleich zu dem angefochtenen FG-Urteil untersagt.
Ergänzend sei auf R 6a Abs. 4 EStR hingewiesen. Dort sind Beispiele für Formulierungen unschädlicher allgemeiner und spezieller Vorbehalte aufgeführt.