Leitsatz
Erhält der anlässlich der Liquidation einer Gesellschaft entlassene Arbeitnehmer, der zugleich deren Gesellschafter ist, für die Aufgabe seiner Versorgungsansprüche eine Abfindung, so ist u.a. Voraussetzung für die Annahme einer Entschädigung i.S.d. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG, dass ein Zwang zur Liquidation der Gesellschaft bestand. Dieser kann im Allgemeinen bejaht werden, wenn auch ein gesellschaftsfremder Unternehmer im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft die Liquidation beschlossen hätte.
Normenkette
§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG , § 34 EStG
Sachverhalt
Der Kläger war alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der IW mbH (Muttergesellschaft), die wiederum Alleingesellschafterin der H-GmbH war. Der Kläger war auch alleiniger Geschäftsführer dieser GmbH. Die H-GmbH hatte ihm Ende 1984 Versorgungsleistungen in Form von Alters-, Invaliden- und Hinterbliebenenrente zugesagt. Im Jahr 1997 beschloss die Muttergesellschaft die Liquidation der H-GmbH. Im Zuge der Liquidation wurde der Anstellungsvertrag mit dem Kläger in einer Abfindungsvereinbarung aufgehoben. Der Kläger verzichtete gegen Zahlung von 575.000 DM auf alle Ansprüche aus der Versorgungsvereinbarung. Dieser Betrag entsprach dem Teilwert der Pensionsrückstellung zum 31.12.1996.
Das FA versagte die Anwendung des halben Steuersatzes nach § 34 Abs. 1, § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG; es gewährte lediglich die Ermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG. Das FG wies die Klage ab.
Entscheidung
Der BFH hob die Vorentscheidung auf und verwies die Sache an das FG zurück. Eine tarifbegünstigte Entschädigung könne dann vorliegen, wenn aufgund der wirtschaftlichen Situation der H-GmbH ein Zwang zu deren Liquidation bestanden habe. Diese Prüfung müsse das FG nachholen.
Hinweis
1. Im Fall der Liquidation eines Unternehmens kann sich ein Arbeitnehmer dem berechtigten Verlangen des Arbeitgebers, die Liquidation in angemessener Zeit zu beenden, nicht entziehen; er wird deshalb der Auflösung seines Arbeitsverhältnisses und/oder der Ablösung seiner Versorgungsansprüche zustimmen müssen. Erhält der Arbeitnehmer dafür eine Abfindung, stellt diese wegen der bestehenden Zwangslage regelmäßig eine Entschädigung für entgehende Einnahmen i.S.d. § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG dar, die nach § 34 EStG als außerordentliche Einkünfte begünstigt zu besteuern ist.
Etwas anderes gilt allerdings, wenn – wie im Besprechungsfall – der betroffene Arbeitnehmer zugleich (alleiniger) Gesellschafter und Geschäftsführer der Arbeitnehmer-Gesellschaft ist. Dann könnte er nämlich die Ursachenkette für die Zwangslage und damit für den Verzicht auf seine Versorgungsansprüche freiwillig in Gang gesetzt haben. Entscheidend ist deshalb in diesem Fall, dass aufgrund der wirtschaftlichen Situation der Gesellschaft ein Zwang zur Liquidation bestanden hat.
Bei der Prüfung dieser Voraussetzung ist nach Art eines Drittvergleichs zu fragen, ob auch ein gesellschaftsfremder Unternehmer im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft die Liquidation beschlossen hätte.
2. Beachten Sie: Wenn es um die Abgeltung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis eines Gesellschafter-Geschäftsführers geht, muss die Prüfung der für eine Tarifermäßigung erforderlichen Drucksituation stets in zwei Stufen erfolgen:
a) Hat das Schaden stiftende Ereignis (Auflösung des Arbeitsverhältnisses; Verzicht auf die Versorgungsansprüche) unter Druck stattgefunden?
b) Ist die Ursachenkette für den Eintritt des Schaden stiftenden Ereignisses freiwillig in Gang gesetzt worden? Dabei muss sich die Entwicklung der Ursachenkette allerdings in einem überschaubaren Rahmen halten.
Beispiel: Ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der (freiwillig) aus Altersgründen seine Gesellschaftsanteile veräußert, muss nicht damit rechnen, dass dies nur bei gleichzeitigem Verzicht auf seine Pensionsansprüche möglich ist (BFH, Urteil vom 12.12.2001, XI R 38/00, BFH/NV 2002, 638).
Hingegen muss ein Gesellschafter-Geschäftsführer, der ohne wirtschaftlichen Zwang (freiwillig) die Liquidation der Gesellschaft betreibt, damit rechnen, dass im Zug der Liquidation bestehende Arbeitsverhältnisse aufgelöst werden müssen.
Link zur Entscheidung
BFH, Urteil vom 4.9.2002, XI R 53/01