Prof. Dr. Michael Olbrich, Marcus Kalwa
Rz. 18
Die bisherigen Regelungen zur Aufstellung eines Konzernabschlusses erforderten nur in seltenen Fällen ausdrücklich eine Einbeziehung von Zweckgesellschaften in den Konsolidierungskreis. Die dadurch mögliche Auslagerung von Risiken aus dem handelsrechtlichen Einzel- und Konzernabschluss führte nicht erst durch die Finanzkrise zu heftiger Kritik.
Als prominente Beispiele können die Fälle Enron und Hypo Real Estate herangezogen werden. In beiden Fällen hat der Grundsatz der wirtschaftlichen Betrachtung nicht ausgereicht, um eine Konsolidierung der Zweckgesellschaften zu erzwingen. Im Ergebnis führte dies bei Enron zur größten Insolvenz, welche die US-amerikanische Wirtschaft bis dato kannte. Bei der deutschen Hypo Real Estate verstellte die fehlende Einbeziehung den Blick auf einen Liquiditätsengpass, sodass die Bank mit über 100 Mrd. EUR vom Staat gestützt werden musste, um eine Insolvenz zu vermeiden.
Als rechtspolitisches Ziel ergab sich daher die Einbeziehungspflicht von Zweckgesellschaften, um auf diese Weise entsprechende Missbrauchsmöglichkeiten zu unterbinden und den bisher bestehenden Bilanzierungsspielraum erheblich einzuschränken. Noch der Regierungsentwurf zum BilMoG sah lediglich die Streichung des Beteiligungserfordernisses aus dem Konzept der einheitlichen Leitung vor. Wie die obigen Ausführungen zeigten, wäre auch auf diese Weise ein Einbezug von Zweckgesellschaften in den Konsolidierungskreis nur in Ausnahmefällen notwendig geworden.
Rz. 19
Nach dem BilMoG ist ein Mutterunternehmen weiterhin zur Konzernrechnungslegung verpflichtet, wenn ein Mutter-Tochter-Verhältnis vorliegt. Einer Änderung unterlagen jedoch die Kriterien zum Nachweis dieses Verhältnisses. Während das Konzept der einheitlichen Leitung völlig aufgegeben wurde, erfuhr das bisherige Control-Konzept entsprechend Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der 7. EG-Richtlinie eine inhaltliche Erweiterung zum international üblichen Konzept der möglichen Beherrschung. Dabei ist grundsätzlich von einem beherrschenden Einfluss auszugehen, wenn ein Unternehmen aus der Tätigkeit eines anderen Unternehmens Nutzen ziehen kann, indem es dessen Finanz- und Geschäftspolitik dauerhaft bestimmt.
Rz. 20
Da diese abstrakte Definition unterschiedliche Auslegungen des Begriffs des "beherrschenden Einflusses" zulässt, wurden zu dessen Operationalisierung vier Tatbestandsmerkmale kodifiziert, bei deren (alternativer) Erfüllung eine unwiderlegbare Annahme eines Mutter-Tochter-Verhältnisses erfolgt. Im Konkreten handelt es sich um die Kriterien des Control-Konzepts i. S. v. § 290 Abs. 2 HGB a. F., ergänzt um den sog. Chancen-Risiken-Ansatz. So finden sich die allgemein gültigen Kriterien des ursprünglichen Control-Konzepts auch weiterhin in § 290 Abs. 2 HGB und konkretisieren die Möglichkeit des Mutterunternehmens zur Ausübung eines beherrschenden Einflusses auf das Tochterunternehmen. Aufgrund des Übergangs zum Konzept der möglichen Beherrschung entsteht auch aufgrund faktischer Verhältnisse die Konsolidierungsnotwendigkeit, wenn bspw. durch eine nachhaltige Präsenzmehrheit auf der Gesellschafterversammlung eine Einflussnahme auf das Unternehmen ermöglicht wird.