Entscheidungsstichwort (Thema)
Mindeststreitwert von 1000 € in Verfahren vor den Finanzgerichten verfassungsgemäß
Leitsatz (amtlich)
Die Regelung in § 52 Abs. 4 GKG, wonach in Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit der Streitwert nicht unter 1 000 € angenommen werden darf (sog. Mindeststreitwert), unterliegt grundsätzlich keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken.
Normenkette
GKG § 21 Abs. 1 S. 3, § 52 Abs. 4, § 66 Abs. 1; GG Art. 19 Abs. 4
Tatbestand
I. Der Kostenschuldner und Erinnerungsführer (Kostenschuldner), ein Rechts- und Betriebswirt, erhob gegen die Umsatzsteuerbescheide für 1996 bis 1998 Klage. Das Finanzgericht (FG) stellte durch Urteil vom 13. Oktober 2004 1 K 1574/03 fest, dass der Kostenschuldner die Klage mit --elektronisch übermitteltem-- Schriftsatz vom 29. Juli 2004 (wirksam) zurückgenommen habe (vgl. "Entscheidungen der Finanzgerichte" --EFG-- 2005, 1952).
Auf die Beschwerde des Kostenschuldners wegen Nichtzulassung der Revision gegen dieses Urteil ließ der Senat durch Beschluss vom 15. Juli 2005 V B 216/04 die Revision zu.
Durch Urteil vom 26. Oktober 2006 V R 40/05 (BFH/NV 2007, 356) wies der Senat die Revision des Kostenschuldners auf dessen Kosten als unbegründet zurück.
Mit Kostenrechnung vom 11. Dezember 2006 KostL 2257/06 setzte die Kostenstelle des Bundesfinanzhofs (BFH) die Gerichtskosten für das Verfahren vor dem BFH mit 275 € an. Dabei wurde der Mindeststreitwert gemäß § 52 Abs. 4 des Gerichtskostengesetzes (GKG) von 1 000 € zugrunde gelegt. Daraus ergab sich gemäß § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 6120 des Kostenverzeichnisses i.V.m. Anlage 2 zu § 34 Abs. 1 Satz 3 GKG eine Verfahrensgebühr von (5 x 55 € =) 275 €.
Hiergegen wendet sich der Kostenschuldner mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2006. Er beantragt, gemäß § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG von der Kostenerhebung abzusehen, weil die abweisende Entscheidung auf einer unverschuldeten Kenntnis der rechtlichen Verhältnisse beruhe. Der BFH habe die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der nunmehr entschiedenen Rechtssache zugelassen; die Entscheidung des Gerichts sei daher im Zeitpunkt der Zulassung der Revision offen gewesen; die Unkenntnis der Rechtsauffassung des BFH sei daher unverschuldet.
Rein vorsorglich werde gegen die Kostenrechnung Erinnerung eingelegt. Die Kostenrechnung gehe von einem (Mindest-)Streitwert von 1 000 € aus, während tatsächlich lediglich ca. 260 € im Streit gewesen seien. Die Einführung eines Mindeststreitwerts von 1 000 € stelle eine Rechtswegsperre dar und sei damit verfassungswidrig.
Entscheidungsgründe
II. Die Eingabe des Kostenschuldners vom 14. Dezember 2006 hat keinen Erfolg.
1. Der Antrag des Kostenschuldners auf Nichterhebung von Kosten nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG ist als Erinnerung i.S. von § 66 Abs. 1 GKG auszulegen, wenn --wie hier-- ihm bereits die Kostenrechnung zugegangen ist (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 28. Juni 2005 X E 1/05, BFHE 209, 422, BStBl II 2005, 646).
2. Der Kostenschuldner konnte die Erinnerung persönlich einlegen, da für ihre Einlegung der Vertretungszwang des § 62a der Finanzgerichtsordnung (FGO) nicht gilt (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 1. September 2005 III E 1/05, BFH/NV 2006, 92; vom 22. Dezember 2004 V E 1/04, V E 2/04, BFH/NV 2005, 717).
3. Nach § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG kann für abweisende Entscheidungen von der Erhebung von Kosten abgesehen werden, wenn der Antrag auf unverschuldeter Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse beruht.
a) Unter abweisender Entscheidung sind Entscheidungen jeder Art und Form zu verstehen (vgl. BFH-Beschluss vom 24. Februar 1967 III B 8/66, BFHE 88, 276, BStBl III 1967, 369). Die Unkenntnis rechtlicher Verhältnisse kann sich auch auf die prozessuale Rechtslage beziehen (vgl. BFH-Beschluss vom 20. Juni 1994 XI E 2, 3/94, BFH/NV 1995, 149). Ob die Unkenntnis der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse unverschuldet ist, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls. Dabei ist u.a. der Bildungsgrad des Kostenschuldners zu berücksichtigen (vgl. BFH-Beschluss vom 21. Juni 1968 III B 73/67, BFHE 92, 548, BStBl II 1968, 659; Ruban in Gräber, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., Vor § 135 Rz 22).
b) Im Streitfall greift § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG nicht ein.
Der Kostenschuldner rügt insoweit sinngemäß, die Rechtsauffassung des BFH in seiner abweisenden Entscheidung im Urteil in BFH/NV 2007, 356 sei für ihn (den Kostenschuldner) nicht vorhersehbar gewesen und beruhe deshalb auf einer unverschuldeten Kenntnis der rechtlichen Verhältnisse. Dieses Vorbringen hat keinen Erfolg.
Als der Kostenschuldner Nichtzulassungsbeschwerde gegen das Urteil des FG einlegte, ging er bewusst ein Prozesskostenrisiko ein. Auch dass die Nichtzulassungsbeschwerde Erfolg hatte, weil einer der Revisionszulassungsgründe des § 115 Abs. 2 FGO vorlag, bedeutete nicht zwangsläufig, dass die nachfolgende Revision (§ 116 Abs. 7 FGO) ebenfalls Erfolg haben musste. Das war für den Kostenschuldner als Rechts- und Betriebswirt, der zudem durch eine Rechtsanwältin als Prozessbevollmächtigte fachkundig beraten wurde, erkennbar.
Die Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 3 GKG verfolgt nicht den Zweck, einem Rechtsmittelführer das mit der Einlegung eines Rechtsmittels verbundene Kostenrisiko abzunehmen und auf die Allgemeinheit abzuwälzen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 25. März 1969 VII B 151/68, BFHE 95, 209, BStBl II 1969, 344; vom 25. April 2006 VIII E 2/06, BFH/NV 2006, 1335; vom 28. April 2006 I E 1/06, BFH/NV 2006, 1674).
4. Auch soweit der Kostenschuldner ferner "vorsorglich" ausdrücklich "Erinnerung" gegen die Kostenrechnung wegen des dabei angesetzten Mindeststreitwerts von 1 000 € eingelegt hat, bleibt sein Vorbringen ohne Erfolg.
a) Mit der Erinnerung gemäß § 66 Abs. 1 GKG können die Kostenansätze und die ihnen zugrunde liegende Streitwertbemessung überprüft werden (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15. Dezember 1992 VII E 3/92, BFH/NV 1993, 488; vom 13. Dezember 2006 XI E 5/06, BFH/NV 2007, 493).
b) Die Einwendungen des Kostenschuldners gegen den Ansatz des Mindeststreitwerts von 1 000 € gemäß § 52 Abs. 4 GKG greifen nicht durch. Der Kostenschuldner beruft sich insoweit auf die gegen diese Vorschrift erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. Thüringer FG, Beschluss vom 28. Februar 2005 II 70007/05 Ko, EFG 2005, 975; Eberl, Der Betrieb --DB-- 2004, 1910). Der Senat teilt diese Bedenken --jedenfalls bei den im Streitfall gegebenen Umständen-- jedoch nicht.
aa) Nach § 52 Abs. 1 GKG ist in Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit, soweit nichts anders bestimmt ist, der Streitwert nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen. Bietet der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte, ist ein Streitwert von 5 000 € anzunehmen (§ 52 Abs. 2 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist deren Höhe maßgebend (§ 52 Abs. 3 GKG). In Verfahren vor den Gerichten der Finanzgerichtsbarkeit darf der Streitwert nicht unter 1 000 € angenommen werden (§ 52 Abs. 4 GKG).
bb) Der Mindeststreitwert von 1 000 € gemäß § 52 Abs. 4 GKG, der durch das Kostenrechtsmodernisierungsgesetz (KostRModG) vom 5. Mai 2004 (BGBl I 2004, 718) zum 1. Juli 2004 eingeführt worden ist, bewirkt keine verfassungsrechtlich unzulässige Zugangsbeschränkung zu den Finanzgerichten.
Der Gesetzgeber hat diese Regelung wie folgt begründet (vgl. BTDrucks 15/1971, S. 156):
"Neu ist der Mindeststreitwert für Verfahren vor den Finanzgerichten. Dieser soll mit 1 000 Euro festgelegt werden. Zahlreichen Verfahren liegt ein sehr geringer Streitwert zugrunde. Die in diesen Verfahren anfallenden sehr geringen Gebühren können nicht durch hohe Gebühren bei Verfahren mit höheren" (ergänzt: Streitwerten) "ausgeglichen werden. Mit dem vorgeschlagenen Mindeststreitwert kann dem Aufwand, den ein finanzgerichtliches Verfahren mit sich bringt, besser Rechnung getragen werden. Auch haben die Verfahren schon häufig deshalb eine höhere Bedeutung als der sich im Streit befindliche Betrag, weil die Entscheidung in einer Steuersache Bedeutung für die Folgejahre haben kann."
Der Senat hat gegen diese gesetzliche Typisierung in § 52 Abs. 4 GKG keine verfassungsrechtlichen Bedenken, zumal ein Kläger, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, einen Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe --PKH-- (§ 142 FGO i.V.m. §§ 114 ff. der Zivilprozessordnung --ZPO--) stellen kann (ebenso Hessisches FG vom 20. März 2006 12 Ko 3720/04, Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst --DStRE-- 2006, 1238; Brandis in Tipke/Kruse, AO/FGO, Vor § 135 FGO Rz 107a; Bartone, AO-Steuerberater 2005, 22, 24; wohl auch Sächsisches FG vom 27. März 2006 3 Ko 243/06, EFG 2006, 1103). Auch der VII. Senat des BFH geht (stillschweigend) von der Rechtswirksamkeit des § 52 Abs. 4 GKG aus (vgl. Beschluss vom 30. Mai 2006 VII E 26/05, BFH/NV 2006, 1686).
cc) Allerdings ist es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) mit der aus dem Rechtsstaatsprinzip sowie aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes folgenden Justizgewährungspflicht nicht vereinbar, den Rechtsuchenden durch Vorschriften über die Gerichts- und Anwaltsgebühren oder deren Handhabung mit einem Kostenrisiko zu belasten, das außer Verhältnis zu seinem Interesse an dem Verfahren steht und die Anrufung des Gerichts bei vernünftiger Abwägung als wirtschaftlich nicht mehr sinnvoll erscheinen lässt (vgl. BVerfG-Beschluss vom 12. Februar 1992 1 BvL 1/89, BVerfGE 85, 337).
Danach ist eine unzumutbare Erschwerung des Rechtswegs "regelmäßig" dann zu bejahen, wenn es (erstens) nicht nur um geringfügige Beträge geht und wenn (zweitens) schon das Gebührenrisiko für eine Instanz das wirtschaftliche Interesse eines Beteiligten an dem Verfahren erreicht oder sogar übersteigt (vgl. BVerfG in BVerfGE 85, 337, 348; vom 16. November 1999 1 BvR 1821/94, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht --NJW-RR-- 2000, 946).
(1) Der Senat ist der Auffassung, dass diese Rechtsprechung im Hinblick auf die für die Einführung des Mindeststreitwerts nach § 52 Abs. 4 GKG geltenden --wie dargelegt-- sachlichen Gründe und im Hinblick auf die Möglichkeit der Gewährung von PKH einer Differenzierung bedarf (so wohl auch Sächsisches FG in EFG 2006, 1103).
Zu beachten ist dabei auch, dass das Finanzgericht seiner Struktur nach ein Obergericht wie das Oberverwaltungsgericht (der Verwaltungsgerichtshof) ist und die Richter am Finanzgericht wie die Richter an anderen Obergerichten besoldet werden. Auf diesen Gesichtspunkt hat der Gesetzgeber in der Gesetzesbegründung zum KostRMoG --in anderem Zusammenhang-- hingewiesen (vgl. BTDrucks 15/1971, S. 213). Der Gesetzgeber darf aber bei der Bestimmung der Gerichtskosten das Interesse des Fiskus an einer angemessenen Gebühr berücksichtigen (vgl. BVerfG in BVerfGE 85, 337, 348, m.w.N.).
(2) Jedenfalls sind die vom BVerfG aufgestellten Kriterien für die Annahme einer unzumutbaren Erschwerung des Rechtswegs im Streitfall nicht erfüllt. Denn im Streitfall erreicht das Gebührenrisiko für eine Instanz das wirtschaftliche Interesse des Kostenschuldners an dem Verfahren nicht.
Entgegen der Darstellung des Kostenschuldners waren nicht lediglich ca. 260 € im Streit; vielmehr betrug der Streitwert 474 €. Der Kostenschuldner hat zuletzt im Klageverfahren in der mündlichen Verhandlung vor dem FG --wie im Revisionsverfahren-- beantragt, die Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2003 betreffend den Umsatzsteuerbescheid für 1996 vom 4. Dezember 2000 aufzuheben sowie unter erneuter Änderung des Änderungsbescheides vom 8. Juni 2004 die Umsatzsteuer für 1997 um 65,20 DM (= 33,33 €) niedriger festzusetzen. Der Streitwert betreffend Umsatzsteuer für 1996 betrug 440,73 €, da die vom Kostenschuldner angefochtene (verbösernde) Einspruchsentscheidung vom 14. Juli 2003 im Vergleich zum Umsatzsteuerbescheid für 1996 vom 4. Dezember 2000 zu einer Steuernachforderung von 440,73 € führte. Hinsichtlich der Umsatzsteuer für 1997 waren 33,33 € im Streit. Der Streitwert betrug damit insgesamt 474 €.
Dieser Streitwert von 474 € ist höher als das Gebührenrisiko für eine Instanz.
Denn bei Ansatz des (Mindest-)Streitwerts von 1 000 € entsteht in Klageverfahren vor den Finanzgerichten eine Verfahrensgebühr von (4 x 55 € =) 220 € und in Revisionsverfahren eine --von der Kostenstelle des BFH in der angefochtenen Kostenrechnung angesetzte-- Verfahrensgebühr von (5 x 55 € =) 275 €. Das ergibt sich aus § 3 Abs. 2 GKG i.V.m. Nr. 6110, 6120 des Kostenverzeichnisses i.V.m. Anlage 2 zu § 34 Abs. 1 Satz 3 GKG (vgl. auch Eberl, DB 2004, 1910; Bartone, AO-Steuerberater 2005, 22 ff.; Thüringer FG in EFG 2005, 957). Weitere Gebühren sind nicht zu entrichten.
Fundstellen
Haufe-Index 1771529 |
BFH/NV 2007, 1777 |
BStBl II 2007, 791 |
BFHE 2008, 388 |
BFHE 217, 388 |
BB 2007, 1716 |
DB 2007, 1626 |
DStRE 2007, 1344 |
HFR 2007, 1006 |