Entscheidungsstichwort (Thema)
Europarechtswidrigkeit des § 8b Abs. 7 KStG 1999 i.d.F. des StBereinG 1999 (Hinzurechnung fiktiver Betriebsausgaben)
Leitsatz (amtlich)
§ 8b Abs. 7 KStG 1999 i.d.F. des StBereinG 1999 vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) verstößt gegen die gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheit der freien Wahl der Niederlassung nach Art. 52, 58 EGV, jetzt Art. 43, 48 EG (Anschluss an EuGH-Urteile vom 18. September 2003 Rs. C-168/01 "Bosal", EuGHE I 2003, 9409, ABlEU 2003, Nr. C 264, 8, und vom 23. Februar 2006 Rs. C-471/04 "Keller Holding", ABlEU 2006, Nr. C 131, 20).
Normenkette
KStG 1999 § 8b Abs. 7; EStG 1997 § 3c; DBA NLD Art. 13 Abs. 2, 4, Art. 20 Abs. 2; EWGRL 435/90 Art. 4 Abs. 2; EGV Art. 52, 58; EG Art. 43, 48
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine GmbH, war im Streitjahr 1999 alleinige Gesellschafterin einer Beteiligungsgesellschaft, der C-GmbH. Zwischen beiden Gesellschaften bestand eine körperschaftsteuerliche Organschaft. Die C-GmbH war ihrerseits alleinige Gesellschafterin einer Kapitalgesellschaft niederländischen Rechts, der C-BV.
Bei Ermittlung des aufgrund der Organschaft der Klägerin zuzurechnenden Einkommens der C-GmbH berücksichtigte der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) die Ergebnisübernahme sowie eine Minderabführung. Im Streitjahr seitens der C-BV an die C-GmbH ausgeschüttete Gewinne wurden aufgrund des sog. Schachtelprivilegs nach Art. 20 Abs. 2 Sätze 1 und 3 i.V.m. Art. 13 Abs. 4 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie verschiedener sonstiger Steuern und zur Regelung anderer Fragen auf steuerlichem Gebiete (DBA-Niederlande) aus der Bemessungsgrundlage ausgenommen. Allerdings rechnete das FA der Klägerin unter Hinweis auf § 8b Abs. 7 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1999) i.d.F. des Gesetzes zur Bereinigung von steuerlichen Vorschriften (Steuerbereinigungsgesetz --StBereinG 1999--) vom 22. Dezember 1999 (BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) und § 3c des Einkommensteuergesetzes (EStG 1997) 5 v.H. der ausgeschütteten Dividenden als nicht abziehbare Betriebsausgaben zu. Tatsächlich war das steuerliche Ergebnis der C-GmbH im Streitjahr nicht durch Betriebsausgaben, die in unmittelbarem Zusammenhang mit der von der C-BV gewährten Dividende standen, gemindert worden.
Die Klage gegen den hiernach ergangenen Körperschaftsteuerbescheid hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) sah in dem Abzugsverbot gemäß § 8b Abs. 7 KStG 1999 i.V.m. § 3c EStG 1997 (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1999) unter Hinweis auf das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) vom 18. September 2003 Rs. C-168/01 "Bosal" (EuGHE I 2003, 9409, Amtsblatt der Europäischen Union --ABlEU-- 2003, Nr. C 264, 8) einen Verstoß gegen die gemeinschaftsrechtlich verbürgte Niederlassungsfreiheit nach Art. 52, 58 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), jetzt Art. 43, 48, nach der Zählung des Vertrages von Amsterdam zur Änderung des Vertrages über die Europäische Union, der Verträge zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften (EG), sowie einiger damit zusammenhängender Rechtsakte (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- 1997 Nr. C-340/1). Das Urteil des FG Hamburg vom 29. April 2004 VI 53/02 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2004, 1639 veröffentlicht.
Seine Revision stützt das FA auf Verletzung formellen und materiellen Rechts.
Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Das durch Beschluss des Senats vom 17. März 2005 gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung auf Antrag der Beteiligten zum Ruhen gebrachte Revisionsverfahren wird fortgeführt. Der Ruhensgrund ist entfallen, nachdem der EuGH durch Urteil vom 23. Februar 2006 Rs. C-471/04 "Keller Holding" (ABlEU 2006, Nr. C 131, 20) über die auch hier in Streit stehende Rechtsfrage nach der Abzugsfähigkeit von Beteiligungsaufwendungen bei steuerfreien Einnahmen aus der mittelbaren Beteiligung einer inländischen Kapitalgesellschaft an einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat entschieden hat.
III. Die Revision ist unbegründet.
1. Die Dividenden, die die C-BV im Streitjahr an die C-GmbH ausgeschüttet hat, sind bei letzterer nach Art. 20 Abs. 2 Sätze 1 und 3 i.V.m. Art. 13 Abs. 4 DBA-Niederlande aus der Bemessungsgrundlage der Körperschaftsteuer auszunehmen. Die derart freigestellten Gewinne werden aufgrund des körperschaftsteuerlichen Organschaftsverhältnisses zwischen der C-GmbH als Organgesellschaft und der Klägerin als Organträgerin als Einkommen der C-GmbH nach § 14 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 17 KStG 1999 der Klägerin zugerechnet. Darüber besteht unter den Beteiligten kein Streit.
2. Nach § 8b Abs. 7 KStG 1999 gelten 5 v.H. von den Dividenden aus Anteilen an einer ausländischen Gesellschaft, die nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung von der Körperschaftsteuer befreit sind, als Betriebsausgaben, die mit den Dividenden in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehen. Daraus wird in Einklang mit der Verwaltungspraxis (vgl. Bundesministerium der Finanzen --BMF--, Schreiben vom 10. Januar 2000, BStBl I 2000, 71) gefolgert (vgl. z.B. Buyer in Dötsch/Jost/Pung/Witt, Die Körperschaftsteuer, § 8b KStG 1999 Rz. 286, 290; Krabbe, IStR 1999, 365; anders z.B. Füger/ Rieger, IStR 1999, 257; Scheipers, Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2000, 92), dass der genannte Betrag gemäß § 3c EStG 1997 (i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1999) nicht abgezogen werden darf. Diese Fiktion ist danach nicht davon abhängig, ob und in welcher Höhe der Obergesellschaft tatsächlich Betriebsausgaben entstanden sind (Buyer, ebenda, Rz. 289; Berndt/Wiesch, Betriebs-Berater --BB-- 1999, 2325). Sie soll --insoweit ebenfalls in Einklang mit der Verwaltungspraxis (zustimmend erneut Buyer, ebenda, Rz. 300 ff.)-- auch dann Anwendung finden, wenn die betreffende Beteiligung von einer Organgesellschaft gehalten wird (vgl. BMF-Schreiben, ebenda, Nr. 1). Die Richtigkeit dieser Rechtsauffassung und Verwaltungspraxis ist unter den Beteiligten streitig. Die Kontroverse bedarf indes keiner Vertiefung und abschließenden Klärung durch den Senat; sie wirkt sich im Ergebnis nicht aus.
3. Denn die vorgenannte Fiktion von Betriebsausgaben und ein etwa daraus abzuleitendes Abzugsverbot sind auf den im Streitfall zu beurteilenden Sachverhalt nicht anzuwenden. Beides verstößt im Zusammenwirken gegen die gemeinschaftsrechtliche Grundfreiheit der freien Wahl der Niederlassung nach Art. 52, 58 EGV, jetzt Art. 43, 48 EG, und damit gegen primäres Gemeinschaftsrecht.
Die Gründe dafür ergeben sich im Ergebnis aus den Urteilen des EuGH in EuGHE I 2003, 9409, ABlEU 2003, Nr. C 264, 8 sowie in ABlEU 2006, Nr. C 131, 20. In dem letztgenannten Urteil hat der EuGH auf Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats vom 14. Juli 2004 I R 17/03 (BFHE 207, 152, BStBl II 2005, 53) entschieden, Art. 52 EGV, jetzt Art. 43 EG, sei dahin auszulegen, dass er einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der Finanzierungsaufwendungen einer in diesem Mitgliedstaat unbeschränkt steuerpflichtigen Muttergesellschaft für den Erwerb von Beteiligungen an einer Tochtergesellschaft steuerlich nicht abzugsfähig sind, soweit diese Aufwendungen auf Dividenden entfallen, die von der Steuer befreit sind, weil sie von einer in einem anderen Mitgliedstaat ansässigen mittelbaren Tochtergesellschaft stammen, obwohl solche Aufwendungen dann abzugsfähig sind, wenn sie auf Dividenden entfallen, die von einer mittelbaren Tochtergesellschaft, die in demselben Mitgliedstaat wie dem Staat des Geschäftssitzes der Muttergesellschaft ansässig ist, ausgeschüttet werden und die faktisch ebenfalls von der Steuer entlastet sind. Auf die Gründe jener Entscheidung im Einzelnen wird, um Wiederholungen zu vermeiden, verwiesen.
Die Konstellation, die der EuGH zu beurteilen hatte, stimmt mit jener, die im Streitfall in Rede steht, im Kern überein. Hier wie dort geht es um die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen einer Muttergesellschaft auf die mittelbare Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem anderen EU-Mitgliedstaat und auf die aus dieser Beteiligung erzielten, im Inland steuerbefreiten Dividenden. Folgt man der --vom FA aber, ohne dass dem unter den gegebenen Umständen weiter nachzugehen wäre, bestrittenen und mit Sachaufklärungsrüge angegriffenen-- Annahme der Vorinstanz, besteht ein Unterschied zu jener vom EuGH entschiedenen Konstellation lediglich insoweit, als der Klägerin im Streitfall tatsächlich keine Beteiligungsaufwendungen entstanden sind, solche allerdings kraft Gesetzes in Höhe von 5 v.H. der Dividenden pauschal fingiert werden. Die Höhe dieser Pauschalierung orientiert sich ersichtlich an Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie Nr. 435/90/EWG des Rates über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten (Mutter/Tochter-Richtlinie) vom 23. Juli 1990 (ABlEG Nr. L 225, S. 6, ber. ABlEG Nr. L 266, S. 20), wonach jeder Mitgliedstaat bis zur Höhe eines Pauschalbetrags von 5 v.H. der von der Tochtergesellschaft ausgeschütteten Gewinne bestimmen kann, dass Kosten der Beteiligung an der Tochtergesellschaft nicht vom steuerpflichtigen Gewinn der Muttergesellschaft abgesetzt werden können. Abgesehen davon, dass durchaus Zweifel daran bestehen, ob eine derartige Kostenfiktion auch dann greifen kann, wenn dem Steuerpflichtigen nachweislich überhaupt keine Beteiligungsaufwendungen entstanden sind (vgl. z.B. Gosch, KStG, § 8b Rz. 451), muss sich jedoch auch diese Ermächtigung durch EG-Sekundärrecht an EG-Primärrecht messen lassen (EuGH-Urteil in ABlEU 2006, Nr. C 131, 20, dort Tz. 45 f.). Wird sie --wie in § 8b Abs. 7 KStG 1999 i.V.m. § 3c EStG 1997, § 8 Abs. 1 KStG 1999-- in der Weise umgesetzt, dass die Pauschalierung lediglich zu Lasten ausländischer Beteiligungsgesellschaften wirkt, verstößt sie gleichermaßen gegen die Grundfreiheit des Art. 52 EGV, jetzt Art. 43 EG, wie das Abzugsverbot für tatsächlich entstandenen Aufwand gemäß § 3c EStG 1997. Die vom EuGH aufgestellten Rechtsgrundsätze sind vorbehaltlos einschlägig. Sie führen innerhalb der EU zur Nichtanwendbarkeit von § 8b Abs. 7 KStG 1999 i.V.m. § 3c EStG 1997 (im Ergebnis ebenso z.B. Friedrich/Nagler, IStR 2006, 217, 220 f.; Rehm/Nagler, Der Betrieb --DB-- 2006, 591, 593; Englisch, Unternehmensbewertung & Management --UM-- 2004, 58, 62; Schraufl/Zech, Praxis der Internationalen Steuerberatung --PIStB-- 2003, 337, 338 ff.; Körner, IStR 2006, 376, 377; Gosch, Entscheidungen des Bundesfinanzhofs für die Praxis der Steuerberatung --BFH-PR-- 2006, 194).
4. So gesehen rügt das FA im Streitfall auch vergeblich unzulängliche Sachverhaltsaufklärung durch die Vorinstanz dazu, ob und in welcher Höhe der Klägerin selbst Beteiligungsaufwendungen entstanden sind. Denn solche Aufwendungen blieben unbeschadet der Frage, ob § 3c EStG 1997 i.V.m. § 8 Abs. 1 KStG 1999 bei Nichtanwendung von § 8b Abs. 7 KStG 1999 subsidiär anzuwenden wäre (vgl. dazu z.B. einerseits Dötsch/Pung in Dötsch/Jost/ Pung/Witt, a.a.O., § 8b Rz. 108b; Gosch, a.a.O., § 8b Rz. 483; Englisch, UM 2004, 58, 62; Schraufl/Zech, PIStB 2003, 337, 343; andererseits Körner, IStR 2006, 376, 377; Friedrich/Nagler, IStR 2006, 217, 220 f.; dieselben, DStR 2005, 403, 412), abziehbar. Auch die Gründe hierfür ergeben sich aus dem EuGH-Urteil in ABlEU 2006, Nr. C 131, 20.
5. Der Senat erachtet die Gemeinschaftsrechtslage in diesem Punkt zwischenzeitlich als eindeutig. Sie entspricht den Aussagen des EuGH-Urteils in ABlEU 2006, Nr. C 131, 20 und war damit bereits Gegenstand einer Auslegung durch den EuGH. Sie ergibt sich überdies zweifelsfrei aus dem EG-Vertrag (im Ergebnis ebenso z.B. Friedrich Nagler, IStR 2006, 217, 220 f.; Rehm/Nagler, DB 2006, 591, 593; Englisch, UM 2004, 58, 60, 62; Schraufl/Zech, PIStB 2003, 337, 341, 343; Körner, IStR 2006, 376, 377; Gosch, BFH-PR 2006, 194). Einer Vorlage an den EuGH gemäß Art. 234 Abs. 3 EG bedurfte es deshalb nicht (vgl. EuGH-Urteil vom 6. Oktober 1982 Rs. 283/81 "C.I.L.F.I.T.", EuGHE 1982, 3415; s. konkret bezogen auf die im Streitfall in Rede stehende Problematik auch die Beschließung des EuGH in der Rechtssache "Keller Holding", a.a.O., gemäß Art. 222 Abs. 2 EG i.V.m. Art. 20 Abs. 5 der EuGH-Satzung ohne Schlussantrag des Generalanwalts zu entscheiden, da nach dem Urteil in EuGHE I 2003, 9409, ABlEU 2003, Nr. C 264, 8 keine neue Rechtsfrage aufgeworfen wurde).
Fundstellen
Haufe-Index 1676787 |
BFH/NV 2007, 622 |
BStBl II 2008, 821 |
BFHE 2008, 82 |
BFHE 215, 82 |
BB 2007, 257 |
DB 2007, 318 |
DStRE 2007, 360 |
HFR 2007, 258 |
FR 2007, 493 |
Inf 2007, 170 |
SteuerBriefe 2007, 434 |
GmbH-StB 2007, 38 |
IStR 2007, 70 |
IWB 2007, 117 |
EStB 2007, 76 |
RIW 2007, 239 |
GmbHR 2007, 217 |
NWB direkt 2007, 9 |
StBW 2007, 5 |
SJ 2007, 6 |