Leitsatz (amtlich)
Die Haftung des Geschäftsführers für rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einer gemäß Companies Act 1985 in England gegründeten private limited company mit tatsächlichem Verwaltungssitz in der Bundesrepublik Deutschland richtet sich nach dem am Ort ihrer Gründung geltenden Recht.
Der Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG) steht entgegen, den Geschäftsführer einer solchen englischen private limited company mit Verwaltungssitz in Deutschland wegen fehlender Eintragung in einem deutschen Handelsregister der persönlichen Handelndenhaftung analog § 11 Abs. 2 GmbHG für deren rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten zu unterwerfen.
Normenkette
GmbHG § 11 Abs. 2; EG Art. 43, 48
Verfahrensgang
LG Hagen (Urteil vom 02.12.2002; Aktenzeichen 10 S 220/02) |
AG Schwelm |
Tenor
Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil der 10. Zivilkammer des LG Hagen v. 2.12.2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin, die sich mit der Herstellung und dem Vertrieb von technischen Gasen befasst, stellte der U. Ltd. (nachfolgend U. Ltd.) für vertraglich vereinbarte Gaslieferungen und Vermietung von Gasflaschen in den Jahren 2000 und 2001 einen - unstreitigen - Gesamtbetrag von 3.393,87 DM in Rechnung. Die U. Ltd., deren Geschäftsführer und Mitgesellschafter der Beklagte ist, wurde schon vorher - am 11.2.2000 - gemäß dem Companies Act 1985 im Companies House, C./UK als private limited company mit eingetragenem (Haupt-)Sitz in L. registriert. Die gesamte Geschäftstätigkeit der Gesellschaft fand hingegen - von ihrem tatsächlichen Verwaltungssitz in G. aus - nur in Deutschland statt, ohne dass deren Eintragung in ein deutsches Handelsregister erfolgt wäre. Die Rechnungen der Klägerin blieben unbezahlt. Auf einen gegen die U. Ltd. gestellten Insolvenzantrag wurde durch Beschluss des AG H. v. 20.9.2001 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt.
Die Klägerin nahm daraufhin wegen der unbeglichenen Rechnungen den Beklagten als für die U. Ltd. Handelnden persönlich in Anspruch und erwirkte gegen ihn einen Vollstreckungsbescheid des AG H. v. 16.7.2002. Auf den Einspruch des Beklagten hat das zuständige AG S. den Vollstreckungsbescheid - mit Ausnahme eines Teils der Nebenforderungen - aufrechterhalten. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten blieb erfolglos. Mit der vom LG zugelassenen Revision erstrebt der Beklagte weiterhin die vollständige Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Beklagten ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, der Beklagte hafte wegen Fehlens einer Eintragung der U. Ltd. als Gesellschaft mit beschränkter Haftung in einem deutschen Handelsregister als handelnder Gesellschafter-Geschäftsführer analog § 11 Abs. 2 GmbHG persönlich für die in ihrem Namen begründeten Kaufpreis- und Mietzinsverbindlichkeiten ggü. der Klägerin. Europarechtliche Normen stünden einer persönlichen Haftung des Beklagten nicht entgegen. Zwar verstoße es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (nachfolgend: EuGH) im Urteil v. 5.11.2002 (EuGH, Urt. v. 5.11.2002 - Rs. C-208/00, MDR 2003, 96 = GmbHR 2002, 1137 = AG 2003, 37 = ZIP 2002, 2037 - Überseering) gegen die Niederlassungsfreiheit (Art. 43, 48 EG), wenn einer nach dem Recht eines Mitgliedstaates wirksam gegründeten Gesellschaft von einem anderen Mitgliedstaat, in den sie ihren Verwaltungssitz verlegt habe, die Rechts- und Parteifähigkeit abgesprochen werde; jedoch rechtfertigten zwingende Gründe des Gemeinwohls Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit. Im Gläubigerinteresse sei durch Anwendung der Sitztheorie sicherzustellen, dass eine im Ausland gegründete Kapitalgesellschaft mit Tätigkeitsschwerpunkt in Deutschland - wie hier die U. Ltd. - den deutschen Gründungsvorschriften unterworfen werde. Ihrer Umgehung müsse durch eine persönliche Haftung der für die Auslandsgesellschaft handelnden Personen analog § 11 Abs. 2 GmbHG begegnet werden.
Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung nicht stand.
II. 1. Das Berufungsurteil ist allerdings nicht bereits wegen Fehlens eines Tatbestandes gem. § 540 ZPO als eines von Amts wegen zu berücksichtigenden Verfahrensmangels aufzuheben. Zwar enthält das Urteil des LG über die - insoweit zulässige - Inbezugnahme der tatsächlichen Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils hinsichtlich des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) hinaus keine Ausführungen zum zweitinstanzlichen Begehren des Beklagten als Berufungskläger. Jedoch ist - was ausreicht (BGH, Urt. v. 26.2.2003 - VIII ZR 262/02, MDR 2003, 765 = BGHReport 2003, 629 = NJW 2003, 747, m.w.N.; st.Rspr.) - dem Gesamtzusammenhang der Begründung des Berufungsurteils (§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass der Beklagte mit der Berufung gegen seine Verurteilung durch das AG sein Klageabweisungsbegehren unverändert weiterverfolgt.
2. Das Urteil des LG hat aber deshalb keinen Bestand, weil die Gleichsetzung der wirksam als limited liability company gegründeten und damit nach englischem Recht rechtsfähigen U. Ltd. mit einer - mangels Eintragung in einem deutschen Handelsregister - nicht als GmbH existenten Gesellschaft (§ 11 Abs. 1 GmbHG) und die daraus abgeleitete persönliche Handelndenhaftung des Beklagten als Geschäftsführer analog § 11 Abs. 2 GmbHG für die Verbindlichkeiten der U. Ltd. aus den von ihm selbst in deren Namen abgeschlossenen Kauf- und Mietverträgen mit der Klägerin mit der in Art. 43 und 48 EG garantierten Niederlassungsfreiheit unvereinbar ist.
a) Nach der Rechtsprechung des EuGH ist die in einem Vertragsstaat nach dessen Vorschriften wirksam gegründete Gesellschaft in einem anderen Vertragsstaat - unabhängig von dem Ort ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes - in der Rechtsform anzuerkennen, in der sie gegründet wurde (EuGH, Urt. v. 5.11.2002 - Rs. C-208/00, MDR 2003, 96 = GmbHR 2002, 1137 = AG 2003, 37 = ZIP 2002, 2037 - Überseering; bestätigt durch Urt. v. 30.9.2003 - Rs. C-167/01, AG 2003, 680 = GmbHR 2003, 1260 = MDR 2003, 1303 = ZIP 2003, 1885 - Inspire Art; BGH v. 13.3.2003 - VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 [189] = GmbHR 2003, 527 = BGHReport 2003, 691 = AG 2003, 386 = MDR 2003, 825; vgl. ferner zur vergleichbaren Rechtslage beim Deutsch-Amerikanischen Freundschafts-, Handels- und Schifffahrtsvertrag BGH, Urt. v. 29.1.2003 - VIII ZR 155/02, BGHZ 153, 353 [356 f.] = MDR 2003, 647 = GmbHR 2003, 534 = BGHReport 2003, 613; Urt. v. 5.7.2004 - II ZR 389/02, BGHReport 2004, 1559 = GmbHR 2004, 1225 = AG 2004, 607 = ZIP 2004, 1402, m.w.N.; Urt. v. 13.10.2004 - I ZR 245/01, GmbHR 2005, 51 = BGHReport 2005, 186 = CR 2005, 175 = ZIP 2004, 2230 [2231]). Aus der Anerkennung der Rechtsfähigkeit einer solchen Gesellschaft folgt zugleich, dass deren Personalstatut auch in Bezug auf die Haftung für in ihrem Namen begründete rechtsgeschäftliche Verbindlichkeiten einschließlich der Frage nach einer etwaigen diesbezüglichen persönlichen Haftung ihrer Gesellschafter oder Geschäftsführer ggü. den Gesellschaftsgläubigern maßgeblich ist (BGH v. 13.3.2003 - VII ZR 370/98, BGHZ 154, 185 [189] = GmbHR 2003, 527 = BGHReport 2003, 691 = AG 2003, 386 = MDR 2003, 825 - auch zur passiven Parteifähigkeit; Urt. v. 23.4.2002 - XI ZR 136/01, BGHReport 2002, 902 = MDR 2002, 899 = NJW-RR 2002, 1359 f.; Urt. v. 5.7.2004 - II ZR 389/02, BGHReport 2004, 1559 = GmbHR 2004, 1225 = AG 2004, 607 = ZIP 2004, 1402 [1403]).
Danach scheidet im vorliegenden Fall eine Haftung des Beklagten analog § 11 Abs. 2 GmbHG für die von ihm als Geschäftsführer namens der U. Ltd. rechtsgeschäftlich begründeten Verbindlichkeiten aus; nach dem für das Personalstatut dieser private limited company (Kapitalgesellschaft) maßgeblichen englischen Recht haftet deren Geschäftsführer als Leitungsorgan - wie im deutschen GmbH-Recht - grundsätzlich nicht persönlich für solche Gesellschaftsverbindlichkeiten.
b) Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung des EuGH ist es selbst unter Gläubigerschutzgesichtspunkten mit dem Gemeinschaftsrecht unvereinbar, wenn das LG im vorliegenden Fall hinsichtlich der Frage einer Haftung des Gesellschafter-Geschäftsführers der U. Ltd. deren maßgebliches Personalstatut (ausnahmsweise) nicht an das am Ort ihrer Gründung geltende Recht, sondern an das Recht ihres tatsächlichen Verwaltungssitzes anknüpfen will.
Zwar ist nach der Rechtsprechung des EuGH anerkannt, dass zwingende Gründe des Gemeinwohls, wie der Schutz der Interessen der Gläubiger u.a. unter bestimmten Umständen und unter Beachtung bestimmter Voraussetzungen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit rechtfertigen können (EuGH, Urt. v. 5.11.2002 - Rs. C-208/00, MDR 2003, 96 = GmbHR 2002, 1137 = AG 2003, 37 = ZIP 2002, 2037 Tz. 92 - Überseering; Urt. v. 30.9.2003 - Rs. C-167/01, AG 2003, 680 = GmbHR 2003, 1260 = MDR 2003, 1303 = ZIP 2003, 1885 - Inspire Art, Tz. 132 f.). Das Berufungsgericht hat jedoch verkannt, dass eine Behinderung der durch den EG-Vertrag garantierten Grundfreiheiten durch nationale Maßnahmen allenfalls unter vier engen Voraussetzungen gerechtfertigt sein kann: Die Maßnahmen müssen in nicht diskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses entsprechen, sie müssen zur Erreichung des verfolgten Zieles geeignet sein und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist (EuGH, Urt. v. 30.9.2003 - Rs. C-167/01, AG 2003, 680 = GmbHR 2003, 1260 = MDR 2003, 1303 = ZIP 2003, 1885 - Inspire Art, Tz. 133, m.w.N.). Danach stellt sogar die bewusste Ausnutzung unterschiedlicher Rechtssysteme für sich allein genommen noch keinen Missbrauch dar, auch wenn sie in der offenen Absicht erfolgt, die "größte Freiheit" zu erzielen und mit einer ausländischen Briefkastengesellschaft die zwingenden inländischen Normativbestimmungen zu umgehen (EuGH, Urt. v. 30.9.2003 - Rs. C-167/01, AG 2003, 680 = GmbHR 2003, 1260 = MDR 2003, 1303 = ZIP 2003, 1885 - Inspire Art, Tz. 96 f., 137 ff., m.w.N.). Da die Bestimmungen über das Mindestkapital insoweit mit der durch den Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit unvereinbar sind, gilt zwangsläufig dasselbe für die Sanktionen, die an die Nichterfüllung der fraglichen Verpflichtungen geknüpft sind, d.h. die Anordnung einer persönlichen (gesamtschuldnerischen) Haftung der Geschäftsführer in dem Fall, dass das Kapital nicht den im nationalen Recht vorgeschriebenen Mindestbetrag erreicht oder während des Betriebes unter diesen sinkt. Folglich rechtfertigen weder Art. 46 EG noch der Gläubigerschutz die Bekämpfung der missbräuchlichen Ausnutzung der Niederlassungsfreiheit oder die Erhaltung der Lauterkeit des Handelsverkehrs die Behinderung der durch den Vertrag garantierten Niederlassungsfreiheit, wie sie nationale Rechtsvorschriften über das Mindestkapital und eine persönliche (gesamtschuldnerische) Haftung der Geschäftsführer darstellen (EuGH, Urt. v. 30.9.2003 - Rs. C-167/01, AG 2003, 680 = GmbHR 2003, 1260 = MDR 2003, 1303 = ZIP 2003, 1885 - Inspire Art, Tz. 142).
c) Eine persönliche Haftung des Beklagten analog § 11 Abs. 2 GmbHG kann schließlich - entgegen der Ansicht der Klägerin - auch nicht daraus abgeleitet werden, dass der Beklagte als Geschäftsführer es entgegen §§ 13d ff. HGB unterlassen hat, die "Zweigniederlassung" der U. Ltd. zum Handelsregister anzumelden. Zwar verpflichtet Art. 12 der 11. Richtlinie 89/666/EWG des Rates v. 21.12.1999 die Mitgliedstaaten, geeignete Maßregeln für den Fall anzudrohen, dass die erforderliche Offenlegung der Zweigniederlassungen im Aufnahmestaat unterbleibt. Gleichwohl müssen die Mitgliedstaaten, denen zwar die Wahl der Sanktion verbleibt, namentlich darauf achten, dass Verstöße gegen das Gemeinschaftsrecht nach ähnlichen sachlichen und verfahrensrechtlichen Regeln geahndet werden wie nach Art und Schwere gleiche Verstöße gegen nationales Recht, wobei die Sanktion nicht nur wirksam und abschreckend, sondern auch verhältnismäßig sein muss (EuGH, Urt. v. 30.9.2003 - Rs. C-167/01, AG 2003, 680 = GmbHR 2003, 1260 = MDR 2003, 1303 = ZIP 2003, 1885 - Inspire Art, Tz. 62, 133). Schon danach bleibt festzustellen, dass die offenbar vom Berufungsgericht befürwortete Sanktion der persönlichen Haftung des Beklagten als Geschäftsführer wegen Nichterfüllung der Anmeldungspflicht weder gesetzlich vorgesehen ist noch etwa im Wege der Rechtsfortbildung in Betracht käme. Als zulässige Sanktion i.S.d. 11. Richtlinie des Rates sieht das deutsche Recht in § 14 HGB allein die Festsetzung von Zwangsgeld für den Fall der Nichterfüllung der Anmeldepflicht pp. vor, nicht hingegen haftungsrechtliche Konsequenzen.
III. Auf Grund der unter Nr. II, 2 aufgezeigten Rechtsfehler unterliegt das Berufungsurteil der Aufhebung (§ 562 ZPO). Mangels Endentscheidungsreife ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).
Der Klägerin ist auf ihre Gegenrüge hin unter dem Blickwinkel der Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie eines fairen Verfahrens (Art. 2, 20 GG) Gelegenheit zu geben, in der wiedereröffneten Berufungsinstanz ihr Klagebegehren nunmehr auf - bislang nicht geltend gemachte - etwaige Haftungstatbestände des materiellen englischen Rechts oder des (deutschen) Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB) zu stützen und hierzu weiteren Sachvortrag zu halten.
Fundstellen
Haufe-Index 1343808 |
BB 2005, 1016 |
DB 2005, 1047 |
DStR 2005, 839 |
DStZ 2005, 392 |
WPg 2005, 659 |
NJW 2005, 1648 |
NWB 2005, 1542 |
BGHR 2005, 914 |
GmbH-StB 2005, 167 |
DNotI-Report 2005, 87 |
EWiR 2005, 431 |
NZG 2005, 508 |
StuB 2005, 604 |
WM 2005, 889 |
WuB 2005, 521 |
ZAP 2005, 762 |
ZAP 2005, 805 |
ZIP 2005, 805 |
AW-Prax 2005, 345 |
DNotZ 2005, 712 |
DZWir 2005, 430 |
EuZW 2006, 61 |
JA 2005, 676 |
JZ 2005, 848 |
JuS 2005, 844 |
KÖSDI 2005, 14661 |
MDR 2005, 1000 |
RIW 2005, 542 |
Rpfleger 2005, 436 |
VersR 2005, 1538 |
ZInsO 2005, 541 |
AUR 2005, 276 |
BKR 2005, 294 |
GmbHR 2005, 630 |
NJW-Spezial 2005, 318 |
ZGS 2005, 206 |
ZNotP 2005, 267 |
ELF 2005, 138 |
JbBauR 2006, 329 |
Mitt. 2005, 325 |
SJ 2005, 36 |