Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerstreitende Steuerfestsetzungen bei abkommenswidriger Doppelbesteuerung – Anwendbarkeit des § 174 Abs. 1 AO auf Steuerbescheide aus Nicht-EU-Staaten
Leitsatz (redaktionell)
- Steuerbescheide, die wegen der mehrfachen Berücksichtigung eines Sachverhalts zuungunsten eines Steuerpflichtigen in Widerstreit mit Steuerbescheiden ausländischer Nicht-EU-Staaten stehen, können nicht nach § 174 Abs. 1 AO korrigiert werden (Abgrenzung zum BFH-Urteil vom 9.5.2012 I R 73/10, BFHE 238, 1, BStBl II 2013, 566).
- Aus dem systematischen Zusammenhang der §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 6 Abs. 2, 155 Abs. 1, 174 Abs. 1 AO ergibt sich, dass mit „Steuerbescheid” i. S. des § 174 Abs. 1 AO grundsätzlich nur eine Festsetzung durch Steuerbescheid einer nationalen Behörde gemeint sein kann.
- Die Notwendigkeit für eine andere Auslegung ergibt sich im Falle der widerstreitenden Erfassung von Vorstandsbezügen durch die japanischen Finanzbehörden weder aus der auch für Drittstaaten geltenden Kapitalverkehrsfreiheit oder dem Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 1 DBA Japan noch aus dem Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG.
Normenkette
AO § 1 Abs. 1 S. 1, § 6 Abs. 2, § 155 Abs. 1, § 174 Abs. 1; EStG § 19 Abs. 1 Nr. 1; DBA Japan Art. 16, 24 Abs. 1; AEUV Art. 63; GG Art. 3 Abs. 1
Streitjahr(e)
2000, 2001
Tatbestand
Der Kläger ist japanischer Staatsangehöriger und war seit dem 30.6.2000 Mitglied des Vorstandes der C, Tokyo/Japan. Er wurde von Juni 2000 bis Juni 2002 als Geschäftsführer zu der D GmbH nach Z-Stadt entsandt. Dort wurde er auf der Basis einer sog. Nettolohnvereinbarung tätig und hatte in dieser Zeit in Deutschland seinen Wohnsitz. Die Klägerin, die ebenfalls japanische Staatsangehörige ist, hatte seit 2001 ihren Wohnsitz in Deutschland. Im Streitjahr 2000 wurde der Kläger einzeln zur Einkommensteuer veranlagt, im Streitjahr 2001 wurden die Kläger zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.
Dem Kläger floss in der Zeit vom 1.6.2000 bis 31.12.2000 für seine Geschäftsführertätigkeit bei der D GmbH ein Arbeitslohn von 176.913 DM und für seine Vorstandstätigkeit bei der C ein Arbeitslohn von 212.077 DM zu.
Im Streitjahr 2001 erzielte der Kläger aus seiner Geschäftsführertätigkeit einen Arbeitslohn von 356.281 DM und aus seiner Vorstandstätigkeit einen Arbeitslohn von 327.369 DM.
Im Rahmen der Einkommensteuererklärungen 2000 und 2001 erklärte der Kläger im Inland steuerpflichtige Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit von 388.990 DM (2000) und 683.650 DM (2001). Für 2001 erklärte er zusätzlich nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Japan zur Vermeidung der Doppelbesteuerung bei den Steuern vom Einkommen und bei einigen anderen Steuern (DBA Japan) steuerfreie Einkünfte aus der Vorstandstätigkeit von 24.570 DM.
Der Beklagte setzte die Einkommensteuer 2000 und 2001 mit Einkommensteuerbescheiden vom 14.3.2002 (2000) und vom 29.11.2002 (2001) insoweit erklärungsgemäß fest.
Während einer Betriebsprüfung bei der C kamen die japanischen Finanzbehörden zu dem Ergebnis, dass das Besteuerungsrecht an den Vorstandsbezügen des Klägers gem. Art. 16 des DBA Japan Japan zustehe. Aufgrund dessen unterwarfen die japanischen Finanzbehörden die Vorstandsbezüge des Klägers der Besteuerung und bestätigten die Steuerzahlungen mit „Applications for Certification on Tax Payment” vom 31.1.2003.
Die Kläger beantragten mit Schreiben vom 23. und 24.3.2004 die Änderung der Einkommensteuerbescheide 2000 und 2001 zur Beseitigung von widerstreitenden Steuerfestsetzungen.
Der Beklagte lehnte die Anträge mit Bescheiden vom 8.9.2005 ab.
Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 7.10.2005 Einspruch ein.
Zur Beseitigung einer abkommenswidrigen Doppelbesteuerung beantragte der Kläger im September 2007 beim Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) die Durchführung eines Verständigungsverfahrens nach dem DBA Japan. Mit Bescheid vom 5.12.2008 lehnte das BZSt den Antrag wegen Ablaufs der Antragsfrist ab. Der hiergegen eingelegt Einspruch wurde als unbegründet zurückgewiesen. Der Ablehnungsbescheid wurde bestandskräftig.
Der Beklagte wies die Einsprüche gegen die Ablehnung der Änderungsanträge mit Einspruchsentscheidungen vom 20.8.2012 als unbegründet zurück. Er führte im Wesentlichen aus, Steuerbescheide, die in Widerstreit mit Steuerbescheiden ausländischer Staaten ständen, könnten nicht nach § 174 der Abgabenordnung (AO) korrigiert werden.
Mit der fristgerecht erhobenen Klage machen die Kläger geltend, § 174 AO sei auch auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbar. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe mit Urteil vom 9.5.2012 (I R 73/10, Sammlung der Entscheidungen des BFH --BFHE-- 238, 1, Bundessteuerblatt --BStBl-- II 2013, 566) entschieden, dass ein Steuerbescheid auch dann nach Maßgabe von § 174 Abs. 1 AO geändert werden könne, wenn der widerstreitende Steuerbescheid von einer Behörde eines Mitgliedstaats der Europäischen Union (EU) stamme. Da weder der Wortlaut des § 174 AO noch die Gesetzesbegründung eine Einschränkung allein auf inlän...