Tz. 26
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 165 Abs. 2 AO eröffnet in seinen Sätzen 1 und 2 zwei unterschiedliche Möglichkeiten der Aufhebung oder Änderung des Steuerbescheids, und zwar für den Fall, dass die Ungewissheit nicht beseitigt ist, bessere Erkenntnis der Finanzbehörde aber eine Anpassung der vorläufigen Regelung erfordert (Satz 1), und für den Fall, dass sie beseitigt ist (Satz 2). Die Änderung nach Satz 1 erfordert eine Ermessensentscheidung, während Satz 2 die Finanzbehörde zum Handeln verpflichtet. Der Änderungsumfang richtet sich danach, in welchem Umfang der Steuerbescheid für vorläufig erklärt worden ist; im Falle der Aufhebung setzt dies voraus, dass die Steuerfestsetzung in vollem Umfang vorläufig ist. Wurde der Vorläufigkeitsvermerk erst anlässlich der Änderung eines bestandskräftigen Steuer- oder Feststellungsbescheids dem Bescheid beigefügt, ist ggf. die betragsmäßige Beschränkung des Vorläufigkeitsvermerks zu beachten. Obwohl die Steuerfestsetzung, nicht aber die Besteuerungsgrundlagen partiell nicht bestandskräftig wird (s. Rz. 25), kann der Steuerbescheid nach § 165 Abs. 2 AO nur aus solchen Gründen aufgehoben oder geändert werden, derentwegen er für vorläufig erklärt wird (BFH v. 06.03.1992, III R 47/91, BStBl II 1992, 588), dies kann auch eine nach § 364b Abs. 2 Satz 1 AO präkludierte Tatsache sein (u. a. s. § 364b AO Rz. 10 m. w. N.; Bartone in Gosch, § 364b AO Rz. 87). Das FA darf im Rahmen der Vorläufigkeit erstmalig eine genauere rechtliche Beurteilung vornehmen oder sogar eine vorherige rechtliche Beurteilung ändern, nachrangige oder nachgelagerte Fragen, die zunächst ungeprüft berücksichtigt wurden (s. Rz. 15), klären sowie eine inzwischen geänderte Gesetzes- oder Rechtslage (ggf. in den Grenzen des § 176 AO) berücksichtigen (BFH v. 24.02.2009, IX B 176/08, BFH/NV 2009, 889 m. w. N.; BFH v. 20.11.2012, IX R 7/11, BStBl II 2013, 359 m. w. N.; ferner s. Rz. 28). Soweit die Vorläufigkeit nicht greift, kommt bei Vorliegen der Voraussetzungen die Änderung des Steuerbescheids nach den §§ 172ff. AO in Betracht.
Tz. 26a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 171 Abs. 8 AO endet die Festsetzungsfrist für die Aufhebung und Änderung nach § 165 Abs. 2 AO nicht vor Ablauf eines Jahres bzw. in den Fällen der Vorläufigkeit nach § 165 Abs. 1 Satz 2 AO nicht vor Ablauf von 2 Jahren, nachdem die Ungewissheit beseitigt und die Finanzbehörde vom Wegfall der Ungewissheit positive Kenntnis erlangt hat; ein bloßes Kennenmüssen von Tatsachen, die das FA bei pflichtgemäßer Ermittlung erfahren hätte, steht der Kenntnis nicht gleich (BFH v. 04.09.2008, IV R 1/07, BStBl II 2009, 335 m. w. N.). Unerheblich ist, aufgrund welcher Umstände das FA Kenntnis erhält. Die Ablaufhemmung tritt auch ein, wenn die Verfügung der Vorläufigkeit rechtswidrig, aber nicht nichtig war, es sei denn, der Steuerbescheid wurde vom Stpfl. mit Erfolg angefochten (BFH v. 25.07.2000, IX R 93/97, BStBl II 2001, 9 m. w. N.; Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz. 139 m. w. N.). Sie tritt nicht ein, wenn eine Steuer ohne Vorläufigkeitsvermerk festgesetzt wird, auch wenn das FA zur vorläufigen Steuerfestsetzung verpflichtet war (BFH v. 14.04.2011, VI B 143/10, BFH/NV 2011, 1289). Wird der Steuerbescheid nicht innerhalb der Festsetzungsfrist nach § 171 Abs. 8 AO aufgehoben oder geändert, wird die Steuerfestsetzung endgültig, eine ausgesetzte Steuerfestsetzung kann nicht nachgeholt werden. Wirkt das die Ungewissheit beseitigende Ereignis (§ 165 Abs. 2 AO) zugleich steuerrechtlich zurück, kann die vorläufige Steuerfestsetzung nach Ablauf der Frist des § 171 Abs. 8 AO nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden (BFH v. 10.05.2007, IX R 30/06, BStBl II 2007, 807). Wegen des Ablaufs der Festsetzungsfrist bei Beseitigung der Ungewissheit in Liebhaberei-Fällen s. BFH v. 04.09.2008, IV R 1/07, BStBl II 2009, 335.
Tz. 26b
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 176 AO ist zu beachten (von Wedelstädt in Gosch, § 176 AO Rz. 8 m. w. N.). Der Anwendung des § 177 AO bedarf es zur gegenläufigen Fehlersaldierung m. E. nicht, da im Rahmen des Änderungsbetrages nach § 165 Abs. 2 AO wegen der nicht eingetretenen materiellen Bestandskraft auch solche Fehler berücksichtigt werden können, die nicht mit dem Grund der Vorläufigkeit zusammenhängen (so von Groll in HHSp, § 177 AO Rz. 202; von Wedelstädt in Gosch, § 177 AO Rz. 10 m. w. N.; wohl auch BFH v. 06.03.2003, IX B 197/02, BFH/NV 2003, 742); gleichwohl wird überflüssigerweise auch § 177 AO herangezogen (BFH v. 02.03.2000, VI R 48/97, BStBl II 2000, 332; BFH v. 20.11.2012, IX R 7/11, BStBl II 2013, 359; Heuermann in HHSp, § 165 AO Rz. 37; eine Fehlersaldierung gänzlich ablehnend Martin, Vorläufige Steuerfestsetzung und Aussetzung der Steuerfestsetzung nach § 165 Abgabenordnung, 2007, 144 ff. und Bergan/Martin, DStR 2007, 658, die unzutreffend die Wirkung des Nichteintritts der materiellen Bestandskraft durch den für die Änderung nach § 165 Abs. 2 AO vorgegebenen Änderungsanlass einschränken).
Tz. 27
Stand: 22. Auflage ...