Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Übereignung im Ganzen bedeutet, dass die wesentlichen Grundlagen des Unternehmens oder Betriebes übergehen müssen (BFH v. 07.11.2002, VII R 11/01, BStBl II 2003, 226). Behält der frühere Betriebsinhaber eine wesentliche Betriebsgrundlage zurück und übereignet er sie erst später an den Betriebsübernehmer, so liegt keine Übereignung im Ganzen vor (BFH v. 06.08.1985, VII R 189/82, BStBl II 1985, 651). Was die wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens sind, ist nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten zu beurteilen. Als Beurteilungsmaßstab ist wesentlich, ob der erworbene Betrieb ohne unverhältnismäßig hohe Neuinvestitionen fortsetzbar ist (FG Bre v. 09.09.1977, III 60/75, EFG 1978, 3). Dementsprechend wird die Beurteilung in erheblichem Maße auch von der Art und dem Wirtschaftszweig des Unternehmens abhängen. So gehört etwa der Warenbestand bei einem Textilhandelsunternehmen zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen, nicht jedoch bei einem Obst- und Gemüsehandel. Für ein Güterfernverkehrsunternehmen ist der Kundenstamm wesentlich (BFH v. 23.11.1961, II R 244/60, HFR 1962, 121). Die Nichtmitübereignung anderer Gegenstände ist stets dann unschädlich, wenn die Fortführung des Unternehmens ohne sie ohne nennenswerten Aufwand möglich ist.
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Aus der Rechtsprechung: Der Annahme der Übereignung des Unternehmens oder Betriebs im Ganzen steht nicht entgegen, dass der Erwerber auch Einrichtungsgegenstände übernimmt, an denen ihm bereits Sicherungseigentum zustand (FG SchlH v. 18.01.1972, III 82/68, EFG 1972, 258), desgleichen Waren, die er unter Eigentumsvorbehalt geliefert hatte (BFH v. 20.07.1967, V 240/64, BStBl III 1967, 684). Das Gleiche gilt, wenn Sicherungseigentum zugunsten einer Bank besteht (FG BW v. 31.08.1994, 12 K 96/91, EFG 1995, 146). Forderungen und Schulden brauchen nicht notwendig mit überzugehen (RFH v. 15.12.1921, RFHE 7, 341), auch nicht die Firmenbezeichnung (RFH v. 25.09.1935, RStBl 1935, 1354). Entgegen der Auffassung des BFH (BFH v. 15.12.1960, StRK AO § 116 R. 12) lässt das FG Nds (FG Nds v. 04.06.1959, V U 139 – 140/56, EFG 1960, 114) bei einer Gastwirtschaft den Übergang der ihrem Zweck dienenden, besonders hergerichteten Räume ohne bzw. ohne brauchbares Inventar genügen (ebenso FG Nds v. 01.10.1963, V (U) 22 – 23/63, EFG 1964, 201; BFH v. 25.11.1965, V 173/63 U, BStBl III 1966, 333). Für den Fall des ambulanten Gewerbes (BFH v. 16.05.1961, V 292/58, HFR 1962, 19). Transportfahrzeug und Tour eines Paketdienstunternehmers (FG Sa v. 23.06.1994, 2 K 146/92, EFG 1995, 148). Übertragung von Know-how durch Weiterbeschäftigung der Träger desselben durch den Erwerber (FG Bre v. 09.06.2004, 2 K 279/03 (1), EFG 2004, 1268). Auch ein Pacht- oder Mietrecht kann zu den wesentlichen Grundlagen eines Unternehmens oder Betriebs gehören. Dabei genügt es, wenn der Veräußerer durch aktives Tun dem Erwerber die Möglichkeit verschafft, mit dem Eigentümer der Mietgegenstände einen neuen Mietvertrag abzuschließen (BFH v. 06.11.1990, VII R 81/88, BFH/NV 1990, 718 m. w. N.). Das FG Nbg (FG Nbg v. 26.01.1993, II 190/92, EFG 1993, 559) verneint die Haftung, wenn zwar der Veräußerer den Erwerber an den Verpächter vermittelt und der Abschluss eines Pachtvertrages zwischen diesen Personen zum Inhalt des Kaufvertrags gemacht wurde, der Pachtvertrag anschließend aber nicht vom Erwerber, sondern von einer aus ihm und seinem Bruder bestehenden Gesellschaft des bürgerlichen Rechts abgeschlossen wird. Zur Überleitung des Kundenstamms durch Mitwirkung beim Abschluss entsprechender Verträge (BFH v. 27.05.1986, VII R 183/83, BStBl II 1986, 654) und zur Überleitung eines Händlervertrages mit dem einzigen Lieferanten (BFH v. 21.06.2004, VII B 345/03, BFH/NV 2004, 1509). Bei einem Gebrauchtwagenhändler gehören neben dem Fahrzeugbestand sein Name, sein Internetauftritt und die E-Mail-Adresse zu den wesentlichen Geschäftsgrundlagen (FG Nbg v. 11.03.2014, 2 K 929/12, EFG 2014, 1642).