Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 114
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Verkürzung "in großem Ausmaß" bezieht sich auf dieVerkürzung hoher Beträge. Die eher qualitative Sichtweise, die § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO a. F. bis zum 31.12.2007 enthielt, ist durch die Neufassung entfallen, denn das Merkmal des Eigennutzes spielt keine Rolle mehr (für Altfälle s. BGH v. 13.06.2013, 1 StR 226/13, NStZ 2014, 105). In Anlehnung an die Grundsätze zu § 263 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 Alt. 1 StGB, wo das wortgleiche Merkmal des großen Ausmaßes verwendet wird, liegt die Grenze bei 50 000 Euro, in den Fällen, in denen durch einen ungerechtfertigten Vorsteuerabzug (BGH v. 25.09.2012, 1 StR 407/12, wistra 2013, 67) oder durch fingierte Betriebsausgaben "in die Kasse des Staates gegriffen wird". In anderen Fällen (z. B. Verschweigen von Einnahmen) sah der BGH die Grenze zunächst bei 100 000 Euro. Bei der Verkürzung eines "sechsstelligen" Hinterziehungsbetrags sollte die Verhängung einer Geldstrafe nur noch bei Vorliegen gewichtiger Milderungsgründe schuldangemessen sein; bei einer Verkürzung in Millionenhöhe kommt auch eine aussetzungsfähige Freiheitsstrafe regelmäßig nicht mehr in Betracht (BGH v. 07.02.2012, 1 StR 525/11, NJW 2012, 1458). Im Fall der tateinheitlichen Begehungsweise sind die Verkürzungsbeträge zu addieren (BGH v. 02.12.2008, 1 StR 416/08, BStBl II 2009, 934; zur Strafzumessung bei tatmehrheitlich begangenen Serienstraftaten s. BGH v. 29.11.2011, 1 StR 459/11, BFH/NV 2012, 541; BGH v. 15.12.2011, 1 StR 579/11, NJW 2012, 1015). Werden lediglich Einnahmen verschwiegen, zog der BGH die Grenze bei 100 000 Euro (BGH v. 15.12.2011, 1 StR 579/11, NJW 2012, 1015). Wegen der in § 371 Abs. 2 Nr. 3 AO eingeführten Betragsgrenze von 50 000 Euro (die aber inzwischen auf 25 000 Euro herabgesetzt ist) wird gefordert, diese müsse generell auch für § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO gelten (Rolletschke/Roth, wistra 2012, 216). Dem hat sich der BGH nun angeschlossen und er sieht die Wertgrenze für das große Ausmaß einheitlich bei 50 000 Euro (BGH v. 27.10.2015, 1 StR 373/15). Die gegen den aufgehobenen § 370a AO wegen der mangelnden Bestimmtheit der verbrechensbegründenden Tatbestandsmerkmale geltend gemachten verfassungsrechtlichen Bedenken betreffen nicht die Regelung des § 370 Abs. 3 Nr. 1 AO, weil es sich um eine Strafzumessungsregelung handelt (BGH v. 18.10.2004, 5 StR 276/05, wistra 2005, 30; BGH v. 02.12.2008, 1 StR 416/08, BStBl II 2009, 934). Die Feststellung der Höhe der Verkürzung ist ein erster Prüfungsschritt. Die Besonderheiten des Einzelfalles können die Indizwirkung des Regelbeispiels entkräften (BGH v. 02.12.2008, 1 StR 416/08, BStBl II 2009, 934). Dann ist aber zu begründen, weshalb trotz Vorliegens eines Regelbeispiels ein besonders schwerer Fall nicht angenommen wird (BGH v. 05.05.2011, 1 StR 116/11, NJW 2011, 2450).