Tz. 22
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Verwaltungsvorschriften, insbes. die (norminterpretierenden oder normkonkretisierenden) Steuerrichtlinien, sind grds. keine Rechtsnormen; sie bieten keine Rechtsgrundlage für Verwaltungsakte und binden Gerichte grds. nicht (st. Rspr., z. B. BFH v. 04.05.2006, VI R 28/05, BStBl II 2006, 781; BFH v. 11.05.2007, IV B 28/06, juris; BFH v. 12.11.2009, VI R 20/07, BStBl II 2010, 845). Dies gilt ebenso für BMF-Schreiben (BFH v. 04.12.2008, XI B 250/07, BFH/NV 2009, 394), Verwaltungserlasse der obersten Finanzbehörden der Länder (BFH v. 10.05.1993, I B 2/93, juris) und Verfügungen der OFD. Soweit gesetzesvertretenden Verwaltungsvorschriften (vgl. Maurer, § 24 Rz. 11) ganz ausnahmsweise die Qualität von materiellen Rechtsnormen zugesprochen wird (BVerfG v. 28.10.1975, 2 BvR 883/73, BVerfGE 40, 237; BFH v. 12.04.1983, VII R 4/80, juris), hat dies im Steuerrecht keine Bedeutung.
Tz. 23
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Die Befugnis zum Erlass von Verwaltungsvorschriften ergibt sich bereits aus der Organisationsgewalt der Finanzverwaltung. Diese Verwaltungsvorschriften entfalten grds. nur im Binnenbereich der Verwaltung Bindungswirkung, soweit sich jeweils die Weisungsbefugnis der anordnenden Behörde aus dem Behördenaufbau (§§ 1ff. FVG) ergibt. Von wesentlicher Bedeutung sind die Steuerrichtlinien (z. B. EStR, LStR, KStR, UStAE, AEAO etc.). Dabei handelt es sich um allgemeine Verwaltungsvorschriften, zu deren Erlass gem. Art. 108 Abs. 7 GG nur die BReg gem. Art. 108 Abs. 7 GG (mit Zustimmung des BR) ermächtigt ist. Daneben gibt es zahlreiche besondere Verwaltungsvorschriften, die als BMF-Schreiben, Erlasse (oberste Finanzbehörden von Bund und Ländern) und Verfügungen (OFD) bezeichnet werden.
Tz. 24
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Je nach Inhalt lassen sich verschiedene Arten von Verwaltungsvorschriften unterscheiden:
- Organisationsvorschriften regeln die innere Organisation und – aufgrund gesetzlicher Ermächtigung im FVG (z. B. § 4 FVG: Sitz und Aufgaben der in § 1 Nr. 2 FVG genannten Bundesoberbehörden) – Sitz, Aufgaben und Zuständigkeit von Behörden. Insoweit kommt den Verwaltungsvorschriften eine begrenzte Außenwirkung zu (z. B. BVerfG v. 31.05.1988, 1 BvR 520/83, BVerGE 78, 214, 227), z. B. für die Frage der örtlichen Zuständigkeit des FG im Finanzprozess (§ 38 FGO).
Tz. 25
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- Norminterpretierende oder normkonkretisierende Verwaltungsvorschriften geben die Verwaltungsauffassung vom Verständnis der betreffenden steuerrechtlichen Vorschriften wieder. Ihnen kommt im Außenverhältnis grds. keine Bindungswirkung zu, faktisch haben sie jedoch eine große Bedeutung für die steuerliche Beratungspraxis. Dazu gehören insbes. alle Steuerrichtlinien sowie BMF-Schreiben, ministerielle Erlasse und OFD-Verfügungen, die sich auf Fragen des steuerlichen Verfahrensrechts und des materiellen Steuerrechts beziehen. Eine "Selbstbindung der Verwaltung" im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG wird durch norminterpretierende Verwaltungsvorschriften nicht begründet (z. B. BFH v. 05.09.2013, XI R 4/10, BStBl II 2014, 95; anders aber bei ermessenslenkenden Verwaltungsvorschriften: s. Rz. 26).
Tz. 26
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- Verwaltungsvorschriften können als ermessenslenkende Verwaltungsvorschriften den nachgeordneten Finanzbehörden Vorgaben für die Ausübung des behördlichen Ermessens machen und so das Ermessen lenken und binden (BFH v. 12.03.1993, VI R 71/90, BStBl II 1993, 479). Z. B. kann die Finanzverwaltung Ermessensrichtlinien zur Gewährung von Fristverlängerungen erlassen (BFH v. 21.04.1983, IV R 217/82, BStBl II 1983, 532; BFH v. 11.04.2006, VI R 64/02, BStBl II 2006, 642). Dabei können die Finanzbehörden in ihren Ermessensrichtlinien auch eine bestimmte Entscheidung von Voraussetzungen abhängig machen, die im Gesetz selbst nicht genannt sind. Diese zusätzlichen Voraussetzungen müssen allerdings einer sachgerechten Ermessensausübung entsprechen. Denn auch die Richtlinien müssen sich in den Grenzen halten, die das GG und die einfachen Gesetze der Ausübung des Ermessens setzen (z. B. BFH v. 11.04.2006, VI R 64/02, BStBl II 2006, 642 m. w. N.; auch s. § 5 AO Rz. 20).
Tz. 27
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- Ermessensrichtlinien können ausnahmsweise eine auch von den Gerichten zu beachtende Selbstbindung der Verwaltung als Ausfluss von Art. 3 Abs. 1 GG begründen. Art. 3 Abs. 1 GG gebietet eine gleichmäßige Anwendung der Verwaltungsvorschriften, soweit der Finanzverwaltung ausnahmsweise Entscheidungsfreiheit eingeräumt ist, also im Bereich des Ermessens, der Billigkeit und der Typisierung oder Pauschalierung (z. B. dazu BFH v. 11.11.2010, VI R 16/09, BStBl II 2011, 966; BFH v. 05.09.2013, XI R 4/10, BStBl II 2014, 95; s. § 5 AO Rz. 20). Allerdings gewährt Art. 3 Abs. 1 GG keinen Anspruch auf Beibehaltung einer rechtswidrigen Verwaltungspraxis (BFH v. 30.07.2008, II R 40/06, BFH/NV 2008, 2060; BVerwG v. 10.12.1969, VIII C 104.69, BVerwGE 34, 278; s. § 5 AO Rz. 20). Zu diesen Richtlin...