Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Für die Verwertung der Ergebnisse aus anderen Prozessen gilt im Hinblick auf den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme Folgendes: Zeugenprotokolle aus anderen Verfahren können im Finanzprozess grds. als Urkundsbeweis im finanzgerichtlichen Verfahren verwertet werden, wenn die Beteiligten damit einverstanden sind (st. Rspr., z. B. BFH v. 27.07.2009, I B 219/08, BFH/NV 2010, 45; BFH v. 26.07.2010, VIII B 198/09, BFH/NV 2010, 2096; Seer in Tipke/Kruse, § 81 FGO Rz. 27, m. w. N.; zur Verwertung eines in einem anderen Gerichtsverfahren eingeholten Sachverständigengutachtens s. § 82 FGO Rz. 8). Das FG muss dabei aber deutlich machen, dass es sich einen Urkundsbeweis handelt. Das FG begeht daher einen Verfahrensfehler, wenn es Vernehmungsprotokolle aus anderen Verfahren als Zeugenbeweis bezeichnet und daher im Urteil nicht zum Ausdruck kommt, dass der unterschiedliche Beweiswert von Urkunden- und Zeugenbeweis vom FG gesehen und berücksichtigt wurde (BFH v. 26.07.2010, VIII B 198/09, BFH/NV 2010, 2096). Darüber hinaus dürfen auch andere Beweismittel, z. B. ein Gutachten aus einem vorangegangenen Prozess der finanzgerichtlichen Entscheidung zugrunde gelegt werden, wenn der Kläger in der Klageschrift und in der mündlichen Verhandlung seiner Verwertung widersprochen hat (BFH v. 23.01.1985, I R 30/81, BStBl II 1985, 305). Maßgeblich ist daher grds. die Zustimmung bzw. der fehlende Widerspruch der Beteiligten, d. h., eine Verwertung gegen den Willen der Beteiligten ist ausgeschlossen. Die Verwertung der Aussage eines zwischenzeitlich verstorbenen Zeugen aus einem anderen Rechtsverfahren stellt keine das rechtliche Gehör des Klägers verletzende Überraschung dar, wenn das FG die betreffenden Akten zum Verfahren beigezogen hatte und sich das damalige Gericht in seiner für den Kläger maßgeblichen Entscheidung auf diese Aussage gestützt hatte (BFH v. 15.02.2002, XI B 100/01, BFH/NV 2002, 909). Der Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme ist aber nicht verletzt, wenn das FG den ehemaligen Prozessbevollmächtigten des Klägers zu dessen eigenen Darlegungen und Äußerungen, die als Beteiligtenvorbringen zu werten sind, nicht selbst hört (BFH v. 01.03.2013, IX B 48/12, BFH/NV 2013, 1238).
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Von erheblicher praktischer Bedeutung ist die Verwertung von Ergebnissen, die in einem Strafverfahren insbes. die vor allem für Haftungsverfahren relevante Ergebnisse, die in einem Strafverfahren gewonnen wurden. Das FG kann sich die Feststellungen aus einem in das Verfahren eingeführten rechtskräftigen Strafbefehl oder Strafurteil zu eigen machen, d. h. es darf die tatsächlichen Feststellungen, Beweiswürdigungen und rechtlichen Beurteilungen des Strafverfahrens zu eigen machen, wenn und soweit es zu der Überzeugung gelangt ist, dass diese zutreffend sind. Voraussetzung ist hierfür aber, dass die Verfahrensbeteiligten gegen die strafgerichtlichen Feststellungen weder substantiierte Einwendungen vortragen noch entsprechende Beweisanträge stellen (z. B. BFH v. 04.11.2010, X S 23/10 [PKH], BFH/NV 2011, 286; BFH v. 01.10.2012, V B 9/12, BFH/NV 2013, 387). Selbst ohne die Strafakten beizuziehen kann sich das FG die in einem rechtskräftigen Strafurteil des LG getroffenen Feststellungen zu eigen machen, wenn gegen die Entscheidung des BGH, mit der dieser die gegen das Strafurteil des LG eingelegte Revision als unbegründet zurückgewiesen hat, keine substantiierten Einwendungen erhoben worden sind (BFH v. 23.04.2014, VII R 41/12, BStBl II 2015, 117; BFH v. 23.04.2014, VII R 42/12, juris). Dies gilt auch für den Fall, dass Strafurteile andere Tatbeteiligte betreffen (BFH v. 24.05.2013, VII B 155/12, BFH/NV 2013, 1613; BFH v. 12.01.2016, VII B 148/15, BFH/NV 2016, 762 m. Anm. Bartone, jurisPR-SteuerR 23/2016). Diese Rechtsprechungsgrundsätze sind auch auf die Verwertung von Vernehmungsprotokollen des Steuerfahndungs- bzw. Zollfahndungsdienstes und anderer Dokumente zu übertragen (BFH v. 19.01.2012, VII B 88/11, BFH/NV 2012, 761; BFH v. 24.05.2013, VII B 163/12, BFH/NV 2013, 1615).
Tz. 9a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die substantiierten Einwendungen des Klägers müssen sich dabei mit der letztinstanzlichen strafgerichtlichen Entscheidung auseinandersetzen: Wendet sich der Kläger z. B. mit einer Revision gegen das Strafurteil eines LG (Wirtschaftsstrafkammer) an den BGH und weist dieser das Rechtsmittel zurück, genügt es nicht, wenn der Kläger lediglich Einwendungen gegen die Feststellungen des LG erhebt bzw. vor dem FG die vor dem BGH erhobenen Einwendungen (die letztlich rechtskräftig zurückgewiesen wurden) wiederholt (vgl. BFH v. 23.04.2014, VII R 41/12, BStBl II 2015, 117; BFH v. 23.04.2014, VII R 42/12, juris). Der pauschale Hinweis auf die Revisionsbegründung und die Behauptung, der BGH habe die im angefochtenen Strafurteil enthaltenen Widersprüche nicht vollständig behandelt, genügt demnach nicht, insbes. wenn der Kläger die Ermittlung derjenigen Tatsachen rü...