Tz. 17
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die herkömmliche Amtsermittlung ist der Sache nach einzelfallbezogen. § 88 Abs. 1 und 2 AO befassen sich dementsprechend mit der Sachverhaltsermittlung in einem konkreten Besteuerungsfall. Ergänzend dazu ermöglicht § 88 Abs. 3 AO den obersten Finanzbehörden die Möglichkeit, Weisungen über Art und Umfang der Ermittlungen für bestimmte oder bestimmbare Fallgruppen zu erteilen. Nach § 88 Abs. 3 Satz 1 AO muss die Weisung der Gewährleistung eines zeitnahen und gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze dienen. Damit regelt das Gesetz an sich eine Selbstverständlichkeit. Es ist damit indes zugleich klargestellt, dass die Rechtsanwendungsgleichheit in gleichgelagerten Fällen gefördert werden soll, indem Ermittlungshandlungen gebündelt werden können. Die Fallgruppen müssen bestimmt oder bestimmbar sein, d. h., aus dem den Finanzbehörden bekannten Sachverhalt muss sich die Gruppenzugehörigkeit ergeben. Dies kann z. B. der Fall sein bei bestimmten (Massen-)Beteiligungen, Fondsbeteiligungen oder auch bei gleichgelagerten Sachverhalten und besonders bestimmten Prüffeldern. Auch Aufgriffsgrenzen für Ermittlungen dürften unter diese Regelung fallen. Wie bei den individuellen Ermittlungen umfasst die Befugnis zum Erlass der Weisungen sowohl die Art als auch den Umfang der Ermittlungen. Nach § 88 Abs. 3 Satz 2 AO können ebenfalls Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit und die allgemeinen Erfahrungen berücksichtigt werden (s. Rz. 7). § 88 Abs. 3 Satz 3 AO sieht vor, dass die Weisungen nicht veröffentlicht werden dürfen, soweit dadurch die Gesetzmäßigkeit und die Gleichmäßigkeit der Besteuerung gefährdet würde. Diese Verpflichtung zur Geheimhaltung soll verhindern, dass der Ermittlungserfolg gefährdet wird, indem sich die Stpfl. auf die Ermittlungen einstellen. Die Stpfl. sollen weder ihre Erklärungspflichten noch ihre Mitwirkung an den Weisungsvorgaben und damit an dem Umfang der Ermittlungen ausrichten können. Für die Weitergabe der Weisungen an Gerichte, Rechnungsprüfungsbehörden und Parlamente gelten die gleichen Grundsätze wie für Daten, die nach § 30 AO dem Steuergeheimnis unterliegen; das Veröffentlichungsverbot gilt insoweit auch über die Finanzbehörden hinaus (BT-Drs. 18/7457, 68). Um zu vermeiden, dass die Weisungen durch Beteiligte in einem finanzgerichtlichen Verfahren an die Öffentlichkeit gelangen, findet gem. § 86 Abs. 2 Satz 2 FGO i.V. mit § 86 Abs. 3 FGO das sog. "In-camera-Verfahren" Anwendung (s. § 86 FGO Rz. 5). Danach entscheidet der Bundesfinanzhof über eine Weigerung der Aufsichtsbehörde, die Weisungen im finanzgerichtlichen Verfahren zur Verfügung zu stellen. Diese Regelung schränkt die Ermittlungsbefugnisse der Finanzgerichte in übermäßiger Weise ein, indem sie den Finanzbehörden ermöglicht, der einzigen gerichtlichen Tatsacheninstanz den Zugriff auf die Weisungen zu verweigern oder zumindest erheblich zu erschweren, die für die Rechtmäßigkeit des Besteuerungsverfahrens erheblich sein könnten. Für den Stpfl. kann dies eine Einschränkung des verfassungsrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz darstellen. Es stellt sich durchaus die Frage, ob Entscheidung des Gesetzgebers, die Verwaltungsanweisungen in den Schutzbereich des § 86 Abs. 1 FGO zu stellen, sich noch im gesetzgeberischen Ermessenspielraum über die Geheimhaltungsbedürftigkeit bewegt. § 88 Abs. 3 Satz 4 AO stellt schließlich klar, dass die Weisungen der obersten Finanzbehörden der Länder des Einvernehmens mit dem BMF bedürfen, soweit die Landesfinanzbehörden Steuern im Auftrag des Bundes verwalten.