Tz. 9

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Zwischen mehreren Gesamtschuldnern besteht ein Auswahlermessen (zum Verhältnis Stpfl./Haftender s. Rz. 6 und § 219 AO). So hat das FA die Wahl, ob es von mehreren Haftungsschuldnern alle oder nur einige in Anspruch nimmt. Das Auswahlermessen folgt aus § 421 BGB (s. § 44 AO Rz. 1). Auch dieses Ermessen ist auszuüben und zu begründen (BFH v. 09.08.2002, VI R 41/96, BStBl II 2003, 160: Auswahlermessen zwischen Arbeitgeberhaftung für Lohnsteuer nach § 42d EStG und Haftung eines Geschäftsführers nach § 69 bzw. § 71 AO wegen dieses Anspruchs). Treten keine besonderen Umstände hinzu, ist es regelmäßig ermessensrichtig alle Gesamtschuldner in Anspruch zu nehmen. Kein geeignetes Kriterium für das Auswahlermessen ist die Beteiligung der Haftungsschuldner am Vermögen der Gesellschaft für deren Schulden sie haftbar gemacht werden (BFH v. 29.05.1990, VII R 85/89, BStBl II 1990, 1008 zu § 69 AO; offengelassen wegen der Höhe der Beteiligung eines GbR-Gesellschafters: BFH v. 07.10.2004, VII B 46/04, BFH/NV 2005, 733; BFH v. 11.12.2007, VII B 346/06, BFH/NV 2008, 733). Nicht zu beanstanden ist es, wenn von mehreren Geschäftsführern derjenige vorrangig in Anspruch genommen wird, der nach einer internen Vereinbarung für die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten zuständig war (BFH v. 05.11.1991, VII B 116/91, BFH/NV 1992, 575). Die Einschaltung eines faktischen GmbH-Geschäftsführers führt aber nicht dazu, dass ein Strohmann-Geschäftsführer aus der Haftung zu entlassen wäre (BFH v. 11.03.2004, VII R 52/02, BStBl II 2004, 579). § 421 BGB eröffnet grundsätzlich auch die Möglichkeit, die Haftungsforderung auf die Haftungsschuldner nach Köpfen zu verteilen. Da allerdings der interne Ausgleichsanspruch nach § 426 BGB in die Risikosphäre der Gesamtschuldner fällt, entspricht es dem Zweck der Haftung, der der Sicherung des Steueraufkommens dient (s. vor §§ 69 bis 77 AO Rz. 1), das Risiko des Ausgleichs nicht von den Haftungsschuldnern auf die Allgemeinheit zu verlagern.

 

Tz. 10

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Umstände, die nicht im Gesamtschuldverhältnis, sondern nur in der Person einzelner Gesamtschuldner begründet sind, sind in Bezug auf dessen Person bei genauerer Betrachtung eine Frage des Entschließungsermessens (Blesinger, StuW 1995, 226, 231 ff.; Blesinger Haftung und Duldung im Steuerrecht, 2005, S. 187 f.), wenn sie auch von der h. M. unter dem Aspekt des Auswahlermessens betrachtet werden. Wegen der Konsequenzen hieraus bedarf die Rechtsprechung (s. insbes. BFH v. 29.05.1990, VII R 85/89, BStBl II 1990, 1008 und BFH v. 11.03.2004, VII R 52/02, BStBl II 2004, 579) einer kritischen Würdigung. Das FA hatte nur einen von zwei GmbH-Geschäftsführern bzw. nur einen faktischen Geschäftsführer in Anspruch genommen, ohne dass dies im Bescheid begründet wurde. Hierin könnte ein materieller Ermessensfehler liegen, wenn nämlich die Auswahlmöglichkeit vom FA nicht gesehen wurde (s. auch BFH v. 09.08.2002, VI R 41/96, BStBl II 2003, 160). Es könnte sich aber auch lediglich um den Formfehler der mangelnden Begründung handeln. Da nach Auffassung des BFH in der Sache eine andere Entscheidung möglich war, musste dies nach § 127 AO zwingend zur Aufhebung des Bescheids führen. Letzteres ist u. E. nicht richtig. Für den BFH stand außer Zweifel, dass der Haftungsbescheid allein in Bezug auf die in Anspruch genommene Person nicht an einem Ermessensfehler litt, er hielt es aber für möglich, dass zusätzlich der andere Geschäftsführer in Anspruch genommen werden konnte. Dies hätte Anlass gegeben, zu prüfen, ob ein Haftungsschuldner allein dadurch beschwert sein kann, dass nicht auch ein anderer Haftungsschuldner in Anspruch genommen wurde. Hätte das FA auch den anderen Haftungsschuldner belangt, hätte dies nichts am Erlass des angefochtenen Bescheids geändert. Zwar hätte i. S. des § 127 AO theoretisch auch eine andere Entscheidung getroffen werden können – nämlich die alleinige Inanspruchnahme des anderen Haftungsschuldners, doch scheint dies nach Lage des Falles niemand ernsthaft in Erwägung gezogen zu haben. Selbst ein materieller Mangel des Auswahlermessens konnte somit nicht Ursache des erlassenen Haftungsbescheids sein, sodass in der Sache keine andere Entscheidung getroffen worden wäre und damit der Adressat dieses Verwaltungsakts insoweit nicht beschwert war (so im Ergebnis auch FG Mchn v. 01.04.2004, 14 K 1710/01, EFG 2004, 1267 zur Haftung eines Steuerhinterziehers). Eine andere Beurteilung ergäbe sich nur dann, wenn der andere Geschäftsführer möglicherweise allein belangt werden konnte. Das zeigt, dass vieles von dem, was unter dem Aspekt des Auswahlermessens diskutiert wird, eigentlich eine Frage des Entschließungsermessens in Bezug auf einen von mehreren Haftenden ist. Dann aber hat eine andere Person keinen Anspruch darauf, dass das einen anderen betreffende Entschließungsermessen ihr gegenüber begründet wird, denn sie ist nicht betroffen, wenn und soweit nicht die Entlassung aus der Haftung zur Deb...

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