a) Ermessenüberschreitung
Tz. 36
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Eine Ermessensüberschreitung liegt vor, wenn die Behörde eine nicht im Rahmen der Ermessensermächtigung liegende Rechtsfolge wählt, sondern darüber hinausgeht.
Beispiel
Nach § 329 AO darf das einzelne Zwangsgeld 25 000 EUR nicht übersteigen. Damit ist der Höchstrahmen gesetzlich bestimmt. Setzt die Finanzbehörde ein höheres Zwangsgeld fest, hat sie das ihr eingeräumte Ermessen überschritten, und es liegt ein Ermessensfehler in Form der Ermessensüberschreitung vor. Entsprechendes gilt für die Festsetzung eines Verspätungszuschlags nach § 152 Abs. 2 Satz 1 AO (s. § 152 AO Rz. 13 ff.).
b) Ermessensfehlgebrauch (Ermessensmissbrauch)
Tz. 37
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ein Ermessensfehlgebrauch (Ermessensmissbrauch) liegt vor, wenn die Finanzbehörde – wie sich aus § 5 AO ableiten lässt – gegen den Zweck der Ermächtigung verstößt und die oben dargestellten Grenzen des Ermessens verletzt (s. Rz. 19 ff.).
aa) Missachtung der allgemeinen Grenzen des Ermessens
Tz. 38
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Fehlerhaft und rechtswidrig handelt die Behörde demnach, wenn sie bei der Ermessensausübung gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG; s. Rz. 20) verstößt. Bei Ermessensentscheidungen wird der Finanzbehörde jedoch ein Entscheidungsspielraum gewährt, sodass es nicht in jedem Fall ermessensfehlerhaft ist, wenn gleich gelagerte Sachverhalte von verschiedenen Behörden oder auch von derselben Behörde verschieden behandelt werden (BFH v. 07.10.1965, IV 139/65 U, BStBl III 1965, 700). Erst die sog. Ermessensabweichung verletzt den Gleichheitssatz im Hinblick auf die Selbstbindung der Verwaltung (s. Rz. 20), wenn die Behörde ohne zureichenden Grund von einer einheitlich geübten Ermessenspraxis abweicht. Ein Ermessensfehler liegt auch vor, wenn die Finanzbehörde das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot verletzt (BFH v. 28.09.2011, VIII R 8/09, BStBl II 2012, 395).
Die Verletzung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit (s. Rz. 21) begründen ebenfalls einen Ermessensfehlgebrauch (BFH v. 15.07.1960, VI 228/57 U, BStBl III 1960, 392; BFH v. 22.03.1988, VII R 8/84, BStBl II 1988, 517).
Ermessensfehlerhaft ist ein Verwaltungsakt, wenn die Finanzbehörde bei seinem Erlass das Verhältnismäßigkeitsprinzip/Übermaßverbot (s. Rz. 22) missachtet (Drüen in Tipke/Kruse, § 5 AO Rz. 60 ff.).
bb) Verletzung des Zwecks der Ermächtigung und der gesetzlichen Grenzen des Ermessens
Tz. 39
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ein Ermessensfehlgebrauch wegen Nichtbeachtung des Zwecks der Ermächtigung kann sich daraus ergeben, dass die Ermächtigung nicht durch den Zweck der Ermächtigung (s. Rz. 25) gedeckt ist, weil die Finanzbehörde sachfremde Erwägungen anstellt. Bsp.: Die Finanzbehörde darf die Verlängerung der Frist zur Abgabe der ESt-Erklärung nicht von der Entrichtung einer Abschlusszahlung bei Einreichung der ESt-Erklärung abhängig machen (BFH v. 31.05.1954, IV 130/54 U, BStBl III 1954, 244; zum sog. Kopplungsverbot BVerwG v. 17.05.1987, 1 C 163.80, BVerwGE 67, 177, 182). Ein Ermessensfehler durch eine derartige Nebenbestimmung liegt nur dann nicht vor, wenn diese, gemessen am Zweck der Ermächtigung, sachlich gerechtfertigt ist. Dies gilt z. B. für die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung gem. § 258 AO gegen Ratenzahlung (vgl. BFH v. 22.06.1990, III R 150/85, BStBl II 1991, 864; i. Ü. s. § 258 AO Rz. 12, 21).
Werden nicht alle maßgeblichen Erwägungen, die für die Ermessensentscheidung von Bedeutung sind, in der gebotenen Weise einbezogen, begründet dies ebenfalls einen Ermessensfehlgebrauch (BFH v. 05.03.1993, VI R 79/91, BStBl II 1993, 692; FG Münster v. 11.12.2001, 1 K 3470/98, EFG 2002, 728; Maurer, § 7 Rz. 22).
Tz. 40
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
vorläufig frei
c) Ermessensunterschreitung (Ermessensausfall, Ermessensnichtgebrauch)
Tz. 41
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Von einer Ermessensunterschreitung (Ermessensausfall Ermessensnichtgebrauch) spricht man dann, wenn die Finanzbehörde von dem ihr eingeräumten Ermessen überhaupt keinen Gebrauch gemacht hat. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Behörde aus Nachlässigkeit handelt oder irrtümlich davon ausgeht, dass bei Anwendung einer Norm generell oder im konkreten Einzelfall kein Ermessenspielraum besteht bzw. eine gebundene Entscheidung zu treffen ist. Dies gilt auch, wenn die Behörde trotz eingeräumten Ermessens untätig bleibt.
Tz. 42
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Demzufolge ist ein Ermessensausfall gegeben, wenn die Finanzbehörde eine Ermessensnorm falsch auslegt und sich nicht darüber bewusst ist, dass ihr ein Entscheidungsspielraum eingeräumt wurde (FG MV v. 12.08.1998, 2 V 44/98, EFG 1998, 1474; FG Ddorf v. 03.08.2000, 11 K 6126/97 BG, EFG 2000, 1174). Eine Ermessensunterschreitung ist auch anzunehmen, wenn die Behörde trotz Ermessensspielraum davon ausgeht, dass sie zu einem bestimmten Handeln verpflichtet sei. Denkbar ist auch, dass sich die Behörde fälschlicherweise an ein Gesetz oder eine Verwaltungsanweisung gebunden fühlt (BFH v. 05.05.1977, IV R 116/75, BStBl II 1977, 639; FG Ddorf v. 13.07.2000, 18 K 8833/99, DStRE 2001, 212). Die Festsetzung eines Verspätungszuschlags (§ 152 AO) ist wegen Ermessensnichtgebrauchs fehlerhaft, wenn sich der Sachbearbe...