Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Geben die Beteiligten übereinstimmende Erledigungserklärungen ab, so ist der Rechtsstreit in Hauptsache unabhängig davon erledigt, ob tatsächlich (materiell) eine Erledigung der Hauptsache stattgefunden hat (BFH v. 15.02.1968, V B 46/67, BStBl II 1968, 413; BFH v. 05.05.1989, X R 10/84, BFH/NV 1990, 52). Das Gericht ist daran gebunden (z. B. BFH v. 01.04.2004 VIII R 55/03, BFH/NV 2004, 1392; BFH v. 05.09.2008, IV B 144/07, juris; BFH v. 14.06.2017, I R 38/15, BStBl II 2018, 2). Erlässt das FG stattdessen ein Prozessurteil, liegt ein Verfahrensfehler vor (BFH v. 19.02.2009, IV R 97/06, BStBl II 2009, 542). Die Erledigungserklärung kann auch durch schlüssiges Verhalten (offensichtliche Interesselosigkeit am weiteren Fortgang des Rechtsstreits) abgegeben werden (BFH v. 12.07.1979, IV R 13/79, BStBl II 1979, 705). Auf die ursprüngliche Zulässigkeit und/oder Begründetheit der Klage kommt es nicht an (zutr. Brandis in Tipke/Kruse, § 138 FGO Rz. 30), denn die übereinstimmenden Erledigungserklärungen haben konstitutive Wirkung, d. h., sie führen unmittelbar zur Beendigung des Rechtsstreits, ohne dass es eines gerichtlichen Ausspruchs hierüber bedürfte (z. B. BFH v. 10.05.2013, IX B 145/12, BFH/NV 2013, 1452; BFH v. 14.06.2017, I R 38/15, BStBl II 2018, 2).
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Während die h. M. eine übereinstimmende Erledigungserklärung im erstinstanzlichen Verfahren auch dann als wirksam ansieht, wenn eine Klage von Anfang an unzulässig ist, soll dies nicht für das Rechtsmittelverfahren gelten. Auch nach h. M. sind die Erledigungserklärungen, die in einem unzulässigen Revisionsverfahren oder unzulässiger NZB für den gesamten Rechtsstreit abgegeben werden, ohne Wirkung (z. B. BFH v. 01.08.2012, V B 59/11, BFH/NV 2012, 2013 m. w. N.; BFH v. 10.11.2015, VII B 113/15, BFH/NV 2016, 220; auch Ratschow in Gräber, § 138 FGO Rz. 9). Demgegenüber ist eine Beschränkung der übereinstimmenden Erledigungserklärungen nur auf das NZB-Verfahren zulässig (BFH v. 22.07.2013, I B 158/12, BFH/NV 2013, 1807), und zwar auch bei einem unzulässigen Rechtsmittel (BFH v. 01.08.2012, V B 59/11, BFH/NV 2012, 2013). Das FG-Urteil erwächst in diesem Fall mit seinem Ausspruch zur Hauptsache und zu den Kosten in Rechtskraft (BFH v. 18.06.2012, III R 12/09, BFH/NV 2012, 1612).
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Verpflichtet sich die beklagte Behörde in der mündlichen Verhandlung oder in einem Erörterungstermin zum Erlass eines Änderungsbescheids und erklären die Beteiligten übereinstimmend daraufhin den Rechtsstreit für in der Hauptsache erledigt, so tritt formelle Hauptsacheerledigung auch dann ein, wenn die beklagte Behörde ihre Zusage widerruft (die Prozesserklärung der Hauptsachenerledigung kann sie ohnehin nicht widerrufen, weil es sich um aufeinander abgestimmte Prozesshandlungen handelt, s. Rz. 16). Die Erledigungserklärung steht in derartigen Fällen auch nicht allgemein unter der aufschiebenden Bedingung der materiellen Erledigung. Lehnt die beklagte Behörde, die an die Zusage nach Treu und Glauben gebunden ist, den Erlass des versprochenen Änderungsbescheids ab (oder bleibt ein erlassener Änderungsbescheid hinter dem versprochenen Ausmaß der Änderung zugunsten des Klägers zurück), so kann der Kläger den Rechtsstreit mit dem Antrag fortsetzen, die Finanzbehörde zum Erlass des Änderungsbescheids zu verpflichten (BFH v. 29.10.1987, X R 1/80, BStBl II 1988, 121; BFH v. 19.11.2002, IV B 160/02, juris).