Tz. 25
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Es liegt im Ermessen des FA, ob es einen rechtswidrigen Verwaltungsakt mit Wirkung für die Vergangenheit oder für die Zukunft zurücknimmt. Die Ermessensausübung muss sich am Sinn und Zweck des § 130 AO orientieren, der eine Abwägung zwischen dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 GG) und dem des Vertrauensschutzes trifft. Zum gesetzgeberisch intendierten Ermessen des § 130 Abs. 2 Nr. 4 AO s. Rz. 14.
Tz. 26
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Rücknahme setzt keinen Antrag voraus. Beantragt der Betroffene die Rücknahme, hat er einen Anspruch auf fehlfreie Ausübung des Ermessens, ob (Entschließungsermessen) und mit welcher Wirkung (Auswahlermessen) der Verwaltungsakt zurückgenommen wird. Wird der Antrag vor Ablauf der Einspruchsfrist gestellt, ist die Finanzbehörde zur Überprüfung und ggf. zur Rücknahme verpflichtet (von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 85).
Tz. 27
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ist der Verwaltungsakt unanfechtbar, ist bei der Ermessensentscheidung zu beachten, dass die Regelung der Rechtsbehelfsfrist dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit dient und durch die Anwendung des § 130 AO nicht unterlaufen werden darf. Allein die Rechtswidrigkeit des bestandskräftigen Verwaltungsakts führt nicht zu seiner Rücknahme nach § 130 AO (BFH v. 09.03.1989, VI R 101/84, BStBl II 1989, 749). War die Durchführung eines Rechtsbehelfsverfahrens für den Betroffenen zumutbar und hätte er die Gründe, die eine Rücknahme rechtfertigen, bereits bei fristgerechter Einlegung des Einspruchs vorbringen können, ist es ermessensfehlerfrei, wenn die Finanzbehörde die Rücknahme ablehnt (ständige Rechtsprechung s. z. B. BFH v. 23.09.2009, XI R 56/07, BFH/NV 2010, 12).
Tz. 28
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Hat sich dagegen die Sach- und Rechtslage nachträglich geändert, haben sich neue Beweismittel ergeben oder ist der Betroffene durch das Verhalten der Behörde veranlasst worden, von der Einlegung eines Rechtsmittels abzusehen, kommt eine Rücknahme auch nach Ablauf der Rechtsbehelfsfrist in Betracht (BFH v. 26.11.2008, III B 175/07, BFH/NV 2009, 361; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 312; von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 88).
Tz. 29
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die "Schwere und Offensichtlichkeit des Rechtsverstoßes" kann nur dann als zusätzliches, eigenständiges Kriterium bei der Ermessensprüfung relevant werden, wenn der Betroffene in der Begründung seines Antrags auf Rücknahme des Bescheids substantiiert dazu Tatsachen vorgetragen und schlüssig die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts dargelegt hat. Nur dann ist die Behörde zum Eintritt in eine Sachprüfung gezwungen und darf sich nicht auf den Hinweis auf die Bestandskraft des Bescheids beschränken (BFH v. 09.03.1989, VI R 101/84, BStBl II 1989, 749; BFH v. 22.06.1999, VII B 244/98, BFH/NV 1999, 1583; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 313; von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 87; Loose in Tipke/Kruse, § 130 AO Rz. 38).
Tz. 30
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Hinsichtlich der Rücknahme eines rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakts ist zu prüfen, ob schützenswerte Interesse des Betroffenen, z. B. dessen Dispositionen im Vertrauen auf den Bestand des Verwaltungsakts, einer Rücknahme entgegenstehen. Sind diese nicht gegeben, kommt im Interesse der Gesetzmäßigkeit und Gleichmäßigkeit der Verwaltung nur die Rücknahme des rechtswidrigen Verwaltungsakts in Betracht (von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 314 f.; von Wedelstädt in Gosch, § 130 AO Rz. 89; Loose in Tipke/Kruse, § 130 AO Rz. 39).