Tz. 21

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ist Revisionszulassung ist schließlich auch geboten, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt und die Entscheidung des FG auf diesem beruht.

Da es kaum denkbar ist, dass sich das FG bei Erlass eines Urteils eines Verfahrensmangels bewusst ist, wird insoweit Zulassung regelmäßig nur aufgrund NZB in Betracht kommen, zumal seit dem 01.01.2001 auch keine Möglichkeit mehr besteht, die Nichtzulassung der Revision im Abhilfeverfahren gegen die NZB nachzuholen. Denkbar – aber in der Praxis kaum vorstellbar – wäre allenfalls ein (bewusster) Verstoß gegen § 126 Abs. 5 FGO. Kein Verstoß gegen die Bindung des FG an das zurückverweisende BFH-Urteil liegt allerdings vor, wenn der BFH in der Zeit zwischen Zurückverweisung und erneuter Entscheidung durch das FG seine Rechtsprechung geändert hat, weil dadurch die Bindung entfallen ist.

 

Tz. 22

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Anders als die in § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO und § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO normierten Revisionsgründe dient § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht der Sicherstellung einer der Allgemeinheit dienenden Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Klärung wichtiger Rechtsfragen, sondern vorwiegend dem Individualrechtsschutz und damit der Einzelfallgerechtigkeit. Auf diese Weise wird dem Gebot effektiven Rechtsschutzes Rechnung getragen, weil auch Verfahrensmängel, die zu einer unzutreffenden Entscheidung geführt haben, einer Überprüfung durch das Revisionsgericht unterliegen. Damit verbunden ist eine Verfahrensaufsicht über die Finanzgerichte, mit der – insoweit über den Individualrechtsschutz hinausgehend – sichergestellt werden soll, dass das bundeseinheitlich geregelte Verfahrensrecht der FGO einheitlich angewandt wird. Die Verfahrensrevision ist ein eigenständiger Revisionsgrund, der die Revisionsgründe nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO und § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO nicht ausschließt. Dies hat Bedeutung für die Entscheidung des BFH; ist nämlich die Auslegung einer verfahrensrechtlichen Norm Gegenstand der Revision, kann der BFH auf eine NZB das angefochtene Urteil entweder nach § 116 Abs. 3 FGO aufheben und zurückzuweisen; ihm steht aber auch die Möglichkeit zu, die Revision zuzulassen und über den Rechtsstreit unter Einbeziehung der verfahrensrechtlichen Frage selbst zu entscheiden. Ein Vorrangverhältnis zwischen den Revisionsgründen nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO und § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO und der Verfahrensrevision besteht nicht (a. A. Ruban in Gräber, § 115 Rz. 74).

 

Tz. 23

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Für die Zulassung der Verfahrensrevision müssen drei Voraussetzungen erfüllt sein:

  • es muss ein Verfahrensmangel geltend gemacht werden,
  • der Verfahrensmangel muss vorliegen und
  • die angefochtene Entscheidung des FG muss auf diesem Verfahrensmangel beruhen können.

Wesentliches Tatbestandsmerkmal ist damit "Verfahrensmangel". Darunter fallen Fehler, die im Zusammenhang mit der prozessualen Behandlung des Streitfalles stehen und zwar während des gesamten Zeitraums zwischen dem Eingang des Verfahrens (der Klage oder des Antrags) bei Gericht bis zur abschließenden Entscheidung. Die fehlerhafte Behandlung muss durch das Gericht erfolgt sein. Deshalb begründet eine verfahrensfehlerhafte Handlungsweise der Finanzbehörde im Verwaltungsverfahren keine Verfahrensrüge. Als Verfahrensfehler kommen alle Verstöße gegen die Grundordnung des Verfahrens und der Vorschriften der FGO in Betracht, insbes. auch, wenn das FG die maßgeblichen verfahrensrechtlichen Grundlagen für seine Entscheidungsfindung verkennt. Die teilweise vorzufindende Unterscheidung zwischen einem Verstoß gegen Verfahrensnormen der den Weg zu dem Urteil und die Art und Weise des Urteilserlasses betrifft (error in procedendo) und Mängeln der sachlichen Entscheidung, bei dem eine den Inhalt des Urteils bestimmende Rechtsnorm verletzt ist (error in iudicando), die nur im Letzteren von einem beachtlichen Verfahrensfehler ausgeht, ist im Hinblick auf den gebotenen effektiven Rechtschutz zu eng (gl. A. Ruban in Gräber, § 115 FGO Rz. 78; Seer in Tipke/Kruse, § 115 FGO Rz. 88) und durch den Gesetzeswortlaut nicht gedeckt. Vielmehr ist der Begriff des Verfahrensmangels nicht zu eng auszulegen, um eine umfassende Prüfung des erstinstanzlichen Urteils zu ermöglichen.

 

Tz. 24

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Bei der Prüfung, ob ein Verfahrensfehler vorliegt, ist auf den materiellrechtlichen Standpunkt des FG abzustellen. So liegt z. B. kein Verfahrensfehler vor, wenn das FG eine Beweisaufnahme nicht durchführt, weil es diese von seinem Rechtsstandpunkt aus für nicht erforderlich hielt, weil es die zum Beweis gestellten Tatsachen nicht als entscheidungserheblich ansah.

 

Tz. 25

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Auch die fehlerhafte Behandlung von Sachentscheidungsvoraussetzungen ist ein Verfahrensmangel (s. BFH v. 11.12.1992, VI R 162/88, BStBl II 1993, 306), weil dem Kläger dadurch die Möglichkeit einer materiellrechtlichen Entscheidung erster Instanz genommen wird. H...

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