Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 42 AO stellt die Maxime auf, dass durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts das Steuergesetz nicht umgangen werden kann. Die Vorschrift ist durch Art. 14 Nr. 2 des JStG 2008 neu gefasst worden. Die Neuregelung gilt nach § 7 EGAO ab dem 01.01.2008 für Kalenderjahre, die nach dem 31.12.2007 beginnen. Für Altfälle gilt § 42 AO a. F. weiter. Die in der Neufassung enthaltene Definition entspricht allerdings weitgehend der, die die Rspr. erarbeitet hat und hat somit auch für Altfälle Relevanz. Die verabschiedete Gesetzesfassung weicht vom Referentenentwurf nach erheblicher Kritik im Schrifttum ab (Deutscher Steuerberaterverband e.V., P 15/07; Crezelius, DB 2007, 1428; Brockmeyer, DStR 2007, 1325), wird aber immer noch als zu unbestimmt und verfassungswidrig angesehen (Borggreve, AO-StB 2007, 333). Dem ist aber mit Hinblick auf die Konturen, die die Rspr. bereits geliefert hat, nicht zu folgen (Lenz/Gerhard, BB 2007, 2429). Die Beweislast für das Nichtvorliegen einer Steuergestaltung ist trotz der Kritik auf den Stpfl. verlagert worden. Diese Beweislastregel gilt für Besteuerungszeiträume ab 2008. Bei allem Verständnis für das Bedürfnis nach eindeutigen und einfachen Besteuerungsregelungen auf Seiten des einzelnen Stpfl. muss man auch das Interesse der Allgemeinheit an der Sicherung des Steueraufkommens unter gleichmäßiger Belastung aller Bürger sehen. Dies alles hat Verfassungsrang. Es ist daher auch nicht anrüchig, wenn der Gesetzgeber die Beweislast für die Frage der Angemessenheit einer Regelung nach dem Gesichtspunkt der Beweisnähe da ansiedelt, wo der Zweifel entsteht – m.a.W., bei dem der sich ihrer bedient und der daher als Erster berufen ist, über deren Zweck Aufschluss zu geben (Lenz/Gerhard, BB 2007, 2429).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Eine Umgehung der Steuerpflicht, genauer ihre Vermeidung oder Verminderung durch missbräuchlichen Gebrauch der individuellen Gestaltungsfreiheit, muss das Steuerrecht vermeiden, um den Steueranspruch nicht beliebig werden zu lassen. Die Vertragsfreiheit (Ellenberger in Palandt vor § 145 BGB Rz. 7) muss auch die Grenzen beachten, die sich aus der Notwendigkeit des gesetzmäßigen Vollzugs der Steuergesetze ergeben. Der Steuerpflicht darf nicht durch Gestaltungen ausgewichen werden, die etwas zivilrechtlich wirksam regeln, was letztlich wirtschaftlich nicht gewollt ist, während der wirklich gewollte wirtschaftliche Erfolg nicht in der ihm angemessenen, üblichen oder normalen Form in Erscheinung tritt. Die Anwendung des § 42 AO kommt in solchen Fällen in Betracht, in denen die Auslegung einer materiellen Steuernorm endet (BR-Drs. 544/07, 105), weswegen die Vorschrift auch nicht überflüssig ist (Drüen in Tipke/Kruse, § 42 AO Rz. 8, 8a). Vom Scheingeschäft (s. § 41 Abs. 2 AO) unterscheidet sich das Umgehungsgeschäft dadurch, dass es als solches ernstlich gewollt und vollzogen ist. Der Gestaltungswille und die Gestaltungsform decken einander (s. § 41 AO Rz. 10; BFH v. 23.11.2011, II R 64/09, BStBl II 2012, 355, Rz. 21). Die Figur des Gesamtplanes hat Berührungspunkte mit dem Gestaltungsmissbrauch, ist aber nicht mit ihm deckungsgleich. Vielen Umgehungen liegt ein Gesamtplan zugrunde. Das gleiche gilt aber auch für Scheingeschäfte, wenn die Vertragsparteien etwas zwar formal vereinbaren, es aber durch gegenläufige Verträge planmäßig wieder neutralisieren (zur Abgrenzung vgl. Offerhaus, FR 2011, 878).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Entscheidendes Kriterium der Steuerumgehung ist der Missbrauch von Gestaltungsformen, welche die Rechtsordnung den Bürgern für die Verwirklichung ihrer Ziele und Bestrebungen bereitstellt. An den üblichen Gebrauch dieser Gestaltungsformen, zu den Zwecken, die ihnen "adäquat" sind, knüpft der Gesetzgeber bei der Ausprägung der Steuertatbestände an. Dabei finden auch Ersatzgestaltungen Berücksichtigung, die in der Praxis schon häufig in Erscheinung getreten, also nicht mehr "ungewöhnlich" sind (Beispiel: § 1 Abs. 2 GrEStG oder § 10 Abs. 5 UStG). Was aber darüber hinaus an steuervermeidenden Ersatzgestaltungen möglich ist, lässt sich nur durch eine Generalklausel abfangen, die einem Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten die steuerliche Maßgeblichkeit abspricht.
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Eine Behinderung der Bürger in ihrer wirtschaftlichen Entfaltungs- und Gestaltungsfreiheit ist durch die Vorschrift nicht gewollt. Im Rahmen der Gesetze können sich die Steuerpflichtigen beliebige wirtschaftliche Ziele setzen, sie sollen sie jedoch auf den Wegen verfolgen, die ihnen die Rechtsordnung für diese Zwecke regelmäßig zur Verfügung stellt. Das Gesetz geht davon aus, dass sich die Bürger der gebräuchlichen Vertragstypen bedienen, in denen die verfolgten Ziele ihren normalen Ausdruck finden. Auf der Grundlage der Privatautonomie können jedoch Form und Inhalt zivilrechtlicher Verträge weitgehend getrennt werden. Ergibt die Prüfung rechtsgeschäftlicher Vereinbarungen, die formal n...