Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift bewirkt eine haftungsbegründende Zurechnung fremden Verschuldens und verpflichtet zum Ausgleich entstandener Schäden. Ähnlich § 831 BGB wird ein eigenes Verschulden des Haftenden angenommen, wen er die für ihn tätigen Personen nicht ordnungsgemäß ausgewählt und überwacht hat. Die Haftung ist gerechtfertigt, wenn bei pflichtgemäßer Auswahl und Überwachung der Schaden nicht eingetreten wäre.
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Haftung kommt nur dann in Betracht, wenn der Vertretene selbst nicht Steuerschuldner ist, weil sonst die Inanspruchnahme des vertretenen Steuerschuldners stets unmittelbar im Wege der Änderung bisheriger Steuerfestsetzungen oder durch Nachholungsbescheide möglich ist. Diese Einschränkung verlagert das Anwendungsgebiet der Vorschrift insbes. auf das Zoll- und Verbrauchsteuerrecht. § 70 Abs. 1 AO eröffnet den Zugriff auf den Vertretenen, dessen Interessen der Vertreter wahrgenommen hat, weil bei Nichtbeachtung der steuerrechtlichen Bestimmungen die oft hohe Steuerschuld in der Person des Vertreters entstehen kann, der jedoch nicht immer in der Lage ist, die Schuld zu begleichen (Gesetzesbegründung). Mit dem Inkrafttreten des Zollkodex zum 01.01.1994 sind diese Konstellationen, wie sie von der Vorschrift vorausgesetzt werden, kaum denkbar, weil der Kreis der Zollschuldner weiter gezogen ist.
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Voraussetzungen der Vorschrift können dem Wortlaut nach auch bei den Abzugssteuern erfüllt sein (s. AEAO zu § 70), denn bei Verletzung der Einbehaltungs- und Abführungspflichten durch den gesetzlichen Vertreter wird der Vertretene nicht Steuerschuldner, die Steuerschuldnerschaft des Arbeitnehmers usw. bleibt unberührt. Auch wenn die entsprechenden Gesetze (s. §§ 42d, 44 Abs. 5, § 50a Abs. 5 Satz 4 EStG) eigene Haftungstatbestände enthalten, gehen diese § 70 AO nicht zwingend vor, weil verschiedene Regelungszwecke vorliegen (s. Rz. 1; a. A. Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 3). Bedeutung hat dies allenfalls für die Frage der Verjährung, die im Fall des § 70 AO länger ist (s. § 191 Abs. 3 Satz 2 AO). Im Einzelfall kann sich eine Haftung auch für Ertragsteuern ergeben, wenn z. B. ein Mitarbeiter einer Bank deren Kunden durch anonyme Kapitaltransfers hilft, Steuern zu hinterziehen. Dann kann sich die Haftung der Bank aus § 70 AO ergeben, sofern die konkrete Hinterziehungstat und der Hinterziehungsschaden nachgewiesen sind (FG Ddorf v. 18.02.2010, 8 K 4290/06 H, EFG 2010, 998; zum Problem des konkreten Verkürzungserfolgs s. § 71 AO Rz. 3; FG Münster v. 10.12.2013, 2 K 4490/12, EFG 2014, 801).