Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Finanzbehörde hat den entscheidungsrelevanten Sachverhalt mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit festzustellen. Lässt sich dies trotz Erfüllung der Ermittlungspflicht der Finanzbehörde bei Ausschöpfung aller Beweismittel nicht erreichen, greift § 162 Abs. 1 Satz 1 AO und verpflichtet sie, die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen. Beruht dies auf der Verletzung der Mitwirkungspflichten des Stpfl., greifen § 162 Abs. 2 bis 4 AO. § 162 Abs. 5 AO behandelt die Erweiterung der Schätzungsmöglichkeit für den Fall, dass in einem Folgebescheid gesondert festzustellende, aber noch nicht festgestellte Besteuerungsgrundlagen vor Erlass des entsprechenden Grundlagenbescheids berücksichtigt werden sollen.
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Schätzung ist eine gesetzliche Beweismaßreduzierung auf eine größtmögliche erreichbare Wahrscheinlichkeit (Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 2). Sie hebt die Ermittlungspflichten der Finanzbehörde und die Mitwirkungspflichten des Stpfl. nicht auf, sondern greift, wenn diese keine Aufklärung bringen. Dabei richtet sich die Beweismaßreduzierung nach der Sphärenverantwortlichkeit der Beteiligten. Die Mitwirkungspflicht des Stpfl. ist umso größer, je mehr Tatsachen und Beweismittel der von ihm beherrschten Informations- und Tätigkeitssphäre angehören, insbes. wenn es sich um Sachverhalte mit Auslandsbezug handelt (s. § 90 Abs. 2 und 3 AO). Lassen sich steuermindernde Sachverhalte nicht aufklären, weil der Stpfl. seine Mitwirkungspflicht nicht ausreichend erfüllt, können sie nicht zu seinen Gunsten berücksichtigt werden; eine Schätzung kommt nicht in Betracht, da dadurch seine Mitwirkungsverweigerung prämiiert würde. Hat er diese Pflicht nicht verletzt, verbietet es die Risikoverteilung, ihn durch eine Entscheidung nach den für die Feststellungslast geltenden Grundsätzen zu benachteiligen; hier greift nach § 162 Abs. 1 Satz 1 AO die Verpflichtung des FA zur Schätzung. Umgekehrt kann das FA steuererhöhende Sachverhalte nicht berücksichtigen, wenn sie trotz Erfüllung der Mitwirkungspflicht des Stpfl. nicht aufgeklärt werden können. Beruht die Unaufklärbarkeit dagegen auf fehlender oder mangelhafter Mitwirkung des Stpfl., so ist das FA nach § 162 Abs. 2 bis 4 AO auf die Schätzung verwiesen (s. dazu Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 5 f.; Seer in Tipke/Lang, § 21 AO Rz. 208).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Schätzung ist keine Ermessensentscheidung, und zwar weder hinsichtlich der Frage, ob eine Schätzung durchgeführt wird (s. Wortlaut der Vorschrift: "... hat zu schätzen ..."), noch bei ihrer Durchführung, sondern eine Beweislastentscheidung. Zwar hat das FA einen gewissen von der Wahrscheinlichkeit beeinflussten Spielraum, es handelt sich dabei aber nicht um einen Ermessensspielraum i. S. des § 5 AO (Seer in Tipke/Kruse, § 162 AO Rz. 9; Oellerich in Gosch, § 162 AO Rz. 117).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Schätzung ist kein Mittel, um die Erfüllung der Steuererklärungspflicht durchzusetzen. Sie dient allein dem Ziel, eine größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit hinsichtlich der zu berücksichtigenden Besteuerungsgrundlagen zu erreichen. Daher sind Straf- oder Mondschätzungen zulasten des Stpfl. unzulässig (BFH v. 20.12.2000, I R 50/00, BStBl II 2001, 381 m. w. N.; von Wedelstädt, AO-StB 2002, 275, 277 m. w. N.).
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
vorläufig frei