Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Verwaltungsakt wird nach § 124 Abs. 1 Satz 1 AO mit dem Inhalt wirksam, mit dem er bekannt gegeben wird. Abzustellen ist dabei nach der in der AO geltenden Erklärungstheorie allein darauf, wie der Empfänger den Verwaltungsakt nach seinem Horizont verstehen konnte und nicht darauf, was die Behörde regeln wollte (s. § 124 AO Rz. 8 f.). Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn der bekannt gegebene Regelungsinhalt mit dem Willen der Behörde nicht in Einklang steht, soweit der Verwaltungsakt sich nicht im Sinne des Gewollten auslegen lässt (s. § 119 AO Rz. 4 und s. § 128 AO). Der Adressat der Regelung soll grundsätzlich auf die bekannt gegebene Regelung vertrauen dürfen. Dieses Vertrauen ist jedoch nicht schutzwürdig, wenn die Unrichtigkeit offensichtlich erkennbar ist. § 129 AO sieht eine Berichtigung von derartigen offenkundigen Fehlern, die nicht die Willensbildung der Finanzbehörde, sondern allein die Umsetzung der Willensbildung betreffen (Verschreiben, Verrechnen und ähnliche offenbare Unrichtigkeiten), vor, wenn sich die Unrichtigkeit auf den Regelungsinhalt, d. h. den Tenor des Verwaltungsakts ausgewirkt hat (Rz 3). Umstritten ist dabei, ob § 129 AO den materiellen Bestand des Verwaltungsaktes, d. h. seinen Regelungsinhalt berührt (so von Wedelstädt in Gosch, § 129 AO Rz. 2.2; Seer in Tipke/Kruse, § 129 AO Rz. 28) oder nur sein äußeres Erscheinungsbild ändert und die materielle Bestandskraft unberührt lässt (so Frotscher in Schwarz/Pahlke, § 129 AO Rz. 1, § 176 AO Rz. 17; Intemann in Koenig, § 129 AO Rz. 56 und § 177 AO Rz. 6). Da der Steuerbescheid nach § 124 Abs. 1 Satz 2 AO mit dem bekannt gegebenen – unrichtigen – Inhalt wirksam wird, und der gewollte Akteninhalt mangels Bekanntgabe keine Wirkung entfaltet, ist der ersten Rechtsauffassung zu folgen: Die Berichtigung nach § 129 AO hat eine inhaltsverändernde Wirkung und greift in den materiellen Bestand des rechtswidrigen Verwaltungsaktes ein. Hierfür spricht auch, dass bei Eintritt der Festsetzungsverjährung ohne eine Berichtigung die bekannt gegebene fehlerhafte Regelung in Rechtskraft erwächst.
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Anwendungsbereich des § 129 AO erstreckt sich auf alle steuerlichen Verwaltungsakte i. S. des § 118 AO, auch im ELSTER-Veranlagungsverfahren (BFH v. 13.08.2010, IX B 20/10, BFH/NV 2010, 2232). Hierunter fallen Steuerbescheide i. S. des § 155 Abs. 1 Satz 1 AO und ihnen gleichgestellte Bescheide sowie sonstige Verwaltungsakte wie z. B. die Anrechnungsverfügung (BFH v. 02.09.2002, VI B 303/00, BFH/NV 2003, 5). § 129 AO gilt auch für Verwaltungsakte in der Gestalt, die sie durch die Einspruchsentscheidung erhalten haben. Erfolgt eine Berichtigung des Bescheides im Einspruchsverfahren, ist ein Verböserungshinweis nach § 367 Abs. 2 Satz 2 AO entbehrlich, da die Rücknahme des Einspruchs eine Berichtigung nach § 129 AO nicht verhindert. Anwendbar ist § 129 AO auch auf Verwaltungsakte, die durch ein abgeschlossenes gerichtliches Verfahren bestätigt oder geändert worden sind, soweit die Berichtigung nach § 129 AO nicht Streitgegenstand war (BFH v. 19.01.1988, VII R 161/84, BFH/NV 1988, 615; von Wedelstädt in Gosch, § 129 AO Rz. 4). Bezieht sich die offenbare Unrichtigkeit auf das Urteil selbst, ist § 107 FGO und nicht § 129 AO Rechtsgrundlage für die Berichtigung des Urteils.
§ 129 AO ist neben den Korrekturvorschriften der §§ 130 AO ff., § 164 Abs. 2 AO, § 165 Abs. 2 AO, §§ 172 AO ff., die die generelle Berichtigungsmöglichkeit nach § 129 AO nicht ausschließen, anwendbar. Infolgedessen sind auch vorläufige oder unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehende Steuerbescheide nach § 129 AO zu berichtigen (von Wedelstädt in Gosch, § 129 AO Rz. 5.1.; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 140 ff.). Auf Scheinverwaltungsakte oder nicht ordnungsgemäß bekannt gegebene Verwaltungsakte findet § 129 AO keine Anwendung.
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 129 AO zu berichtigende offenbare Unrichtigkeiten können im Tenor (Ausspruch), den Nebenbestimmungen, dem Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) oder der Vorläufigkeit (§ 165 AO) enthalten sein. Unrichtigkeiten in der Begründung des Verwaltungsakts führen wegen der Möglichkeit der Heilung (§ 126 AO), bzw. mangels Auswirkung auf die Entscheidung (§ 127 AO) regelmäßig nicht zu einer Berichtigung nach § 129 AO.
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Verwaltungsakt in der berichtigten Fassung wird mit der Bekanntgabe wirksam. Die Berichtigung wirkt zurück auf den Zeitpunkt des Erlasses des ursprünglichen Verwaltungsakts. Andere Fehler dürfen bei dieser Gelegenheit grundsätzlich nicht korrigiert werden, es sei denn, dass die Voraussetzungen für eine Änderung des Verwaltungsakts nach anderen Vorschriften vorliegen, etwa nach §§ 130ff. AO, §§ 164ff. AO, §§ 162ff. AO (s. Seer in Tipke/Kruse, § 129 Rz. 27).