Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Um Tatsachen i. S. des § 173 Abs. 1 AO handelt es sich bei sog. vorgreiflichen Rechtsverhältnissen, d. h. bei Rechtsverhältnissen, über die in einem eigenständigen Verfahren durch eine andere Behörde oder ein Gericht eines anderen Ressorts entschieden wird und an deren Bestehen oder Nichtbestehen steuerrechtliche Folgen geknüpft werden, wie dies z. B. bei Rechtsverhältnissen wie Kauf, Vermietung, Pacht, Schenkung, Forderung, Gewinnausschüttung, Geschäftsführer-Gehalt der Fall ist. Auch das Eigentum i. S. der §§ 903ff. BGB, § 39 Abs. 1 AO stellt eine Tatsache dar, nicht aber das wirtschaftliche Eigentum (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 AO), da es sich um das Ergebnis einer rechtlichen Würdigung des von der Finanzbehörde vorgefundenen Sachverhalts nach dem Gesamtbild der Verhältnisse handelt (FG Sa v. 23.04.2014, 2 K 1273/11, EFG 2014, 1556, NZB unbegründet, BFH v. 20.07.2015, II B 71/14, n.v.). Tatsachen sind demgegenüber die Verhältnisse, auf deren Grundlage die Würdigung erfolgt. Die nachträgliche Änderung der vom FA übernommenen Wertung des vorgreiflichen Rechtsverhältnisses stellt eine Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 AO dar (BFH v. 02.08.1994, VIII R 65/93, BStBl II 1995, 264; AEAO zu § 173, Nr. 1.1.1). Denn derartige Bezeichnungen sind als Zusammenfassung von Tatsachen einschließlich subjektiver Tatbestandsmerkmale, wie z. B. der von den Vertragspartnern einvernehmlich bestimmte Vertragszweck, zu verstehen, die eine bestimmte Wertung auslösen. Der übernommenen Wertung widersprechende Tatsachen sind daher – werden sie nachträglich bekannt – änderungsrelevant (BFH v. 14.05.2003, X R 60/01, BFH/NV 2003, 1144). Auch die Schlussfolgerungen anderer Behörden, von Gerichten u. Ä., die für die von der Finanzbehörde zu treffende Entscheidung vorgreiflich sind, sind als Tatsachen i. S. der Vorschrift aufzufassen (BFH v. 02.08.1994, VIII R 65/93, BStBl II 1995, 264). Das abschließende Urteil in einem Verfahren, das zum Zeitpunkt des Erlasses des Steuerbescheides noch anhängig war, stellt auch eine Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 AO dar. Dies gilt, wenn es sich bei dem Verfahren um einen Steuerprozess handelt, nur, sofern er von einer anderen Finanzbehörde geführt wird als der, die den Steuerbescheid ändern oder aufheben könnte (Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 6).