Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 1
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift geht vom Grundsatz der Wertneutralität der Besteuerung aus. Wenn der Tatbestand erfüllt ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft, steht der Besteuerung nicht der Umstand entgegen, dass der Sachverhalt etwa ganz oder teilweise gegen außersteuerliche Rechtsnormen oder gegen die guten Sitten verstößt (s. § 138 BGB). Insbes. Straftäter, die aus ihrem Handeln wirtschaftlichen Nutzen ziehen und dabei in Konkurrenz zu legalem Wirtschaften stehen, dürfen keine Steuerfreiheit genießen, weil sich sonst weitere Wettbewerbsverzerrungen ergäben. Die Erwägung, dass der Fiskus damit gewissermaßen am wirtschaftlichen Erfolg strafbarer oder sittenwidriger Handlungen teilnimmt, muss demgegenüber zurücktreten. Die Vorschrift begegnet keinen verfassungsrechtlichen Bedenken (BVerfG v. 12.04.1996, 2 BvL 18/93, NJW 1996, 2086). Es besteht auch keine Kollision mit dem Grundsatz, dass niemand verpflichtet ist, sich selbst wegen einer Straftat zu belasten, weil § 30 AO die durch eine entsprechende Erklärung offenbarten Verhältnisse schütz (s. § 30 Abs. 4 Nr. 4 AO; s. zu dieser Problematik aber auch § 31b AO Rz. 5). Die Erklärungspflicht ist auf die betragsmäßige Angabe der Einnahmen beschränkt und umfasst nicht deren deliktische Herkunft (BGH v. 02.12.2005, 5 StR 119/05, NJW 2006, 925). Wer glaubt, er sei berechtigt in solchen Fällen Besteuerungsgrundlagen zu verschweigen, befindet sich allenfalls in einem i. d. R. vermeidbaren Verbotsirrtum (§ 17 StGB; FG Münster v. 10.04.2013, 13 K 3654/10 E, EFG 2013, 1345).
Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift hat nicht nur steuerbegründende Bedeutung für die Fälle, in denen sich ein Stpfl. verbotswidrig verhalten hat. Ihre allgemeine Fassung und der mit ihr verfolgte Zweck wertungsindifferenter Besteuerung (BFH v. 28.11.1977, GrS 2–3/77, BStBl II 1978, 105) lassen die Anwendung auch auf steuerbegünstigende Normen zu (gl. A. Drüen in Tipke/Kruse, § 40 AO Rz. 6). Soweit der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung durch die Vorschrift überhaupt eine Durchbrechung erfährt (BFH v. 18.07.1978, VIII R 94/77, BStBl II 1978, 593), tritt er zurück, wenn es um die Entstehung der Steuer durch tatbestandsmäßiges, aber verbotenes, Verhalten geht, wie auch dann, wenn rechtlich untersagtes Verhalten den Tatbestand einer Steuerbefreiung oder –minderung erfüllt (BFH v. 07.11.1989, VII R 115/87, BStBl II 1990, 251). Voraussetzung ist allerdings, dass die begünstigende Steuerrechtsnorm nach ihrem Sinn und Zweck die Tatbestandsverwirklichung durch ein rechtswidriges Verhalten nicht ausschließt. So schließt z. B. § 4 Abs. 5 Nr. 10 EStG den Abzug geleisteter Schmiergelder u. ä. endgültig vom Betriebsausgabenabzug aus.