I. Verträge mit anderen Staaten i. S. des Art. 59 Abs. 2 GG
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Verträge mit anderen Staaten i. S. des Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG sind völkerrechtliche Verträge, in denen die politischen Beziehungen des Bundes geregelt werden oder die sich auf Gegenstände der Bundesgesetzgebung (in Abgrenzung zur Bundesverwaltung) beziehen. Sie bedürfen der Zustimmung oder der Mitwirkung der jeweils für die Bundesgesetzgebung zuständigen Körperschaften in der Form eines Bundesgesetzes (Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG). Da ein Völkerrechtsvertrag nur die am Zustandekommen beteiligten Völkerrechtssubjekte bindet, bedarf es der "Überführung" in die innerstaatliche Rechtsordnung. Diese Transformation geschieht durch ein Zustimmungsgesetz, das zum einen den Bundespräsidenten im Innenverhältnis ermächtigt, für die Bundesrepublik einen Völkerrechtsvertrag abzuschließen. Gleichzeitig ist damit nach geltender Staatspraxis eine weitere Regelung verbunden, nämlich die Transformation der völkervertraglichen Regelungen in innerstaatliches Recht (BVerfG v. 22.03.1983, BvR 475/78, BVerfGE 63, 343, 355; BVerfG v. 14.05.1986, 2 BvL 2/83, BVerfGE 72, 200, 241; zu den Einzelheiten z. B. Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 5; Sauer, Staatsrecht III, § 6 Rz. 3 ff.).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Völkerrechtliche Verwaltungsabkommen i. S. des Art. 59 Abs. 2 Satz 2 GG fallen nach dem klaren Wortlaut des § 2 Abs. 1 AO nicht in dessen Anwendungsbereich. Als völkerrechtliche Verwaltungsabkommen gelten alle Regelungen, die, falls sie durch einen innerstaatlichen Rechtsakt festgelegt würden, durch eine Verwaltungsvorschrift, einen Verwaltungsakt oder sonstige Verwaltungszwangsmaßnahmen geregelt würden (administrative Verwaltungsabkommen). Auch normative Verwaltungsabkommen, die Gegenstände innerhalb einer Verordnungsermächtigung zugunsten der Bundesregierung oder eines Fachministers nach Art. 80 Abs. 1 GG regeln, fallen nicht unter § 2 AO (Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 6).
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
vorläufig frei
II. Verträge über Steuern
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 2 Abs. 1 AO bezieht sich nur auf solche völkerrechtlichen Verträge, welche die Zulässigkeit oder das Ausmaß der steuerlichen Eingriffe zum Inhalt haben (Koenig in Koenig, § 2 AO Rz. 2; Musil in HHSp, § 2 AO Rz. 36), die also Fragen der Besteuerung zum Gegenstand haben oder zumindest wirtschaftliche Sachverhalte regeln, die unmittelbaren Einfluss auf die Besteuerung haben können (Musil in HHSp, § 2 AO Rz. 15; Oellerich in Gosch, § 2 AO Rz. 22). Verträge in diesem Sinne sind in erster Linie DBA (s. Rz. 7).
1. Doppelbesteuerungsabkommen (DBA)
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
DBA bilden den wichtigsten Anwendungsfall des § 2 Abs. 1 AO. Sie werden zwischen Völkerrechtssubjekten geschlossen, um Doppelbesteuerungen hinsichtlich desselben Stpfl. zu vermeiden. Hierzu kann es kommen, wenn in mindestens zwei Staaten von demselben Stpfl. für denselben Steuergegenstand und denselben Zeitraum vergleichbare Steuern erhoben werden, weil die beteiligten Staaten die Besteuerung sowohl nach dem Welteinkommensprinzip als auch nach Quellenprinzip vornehmen (im Einzelnen Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 26 ff.; Vogel in Vogel/Lehner, Einl. OECD-MA Rz. 2 ff.). Durch das DBA verpflichten sich die Vertragsstaaten, diejenigen Steuern nicht oder nur in begrenzter Höhe zu erheben, die das Abkommen dem jeweils anderen Staat zuweist (Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 27). Im Grundsatz ist mithin davon auszugehen, dass DBA ein bilaterales System der Verteilung von Besteuerungsbefugnissen bilden, innerhalb dessen die Vertragsstaaten ihre nationalen Besteuerungsrechte begrenzen (Bartone, S. 129 m. w. N.), ohne jedoch das ihnen originär zustehende Besteuerungsrecht insoweit grds. aufzugeben (BFH v. 21.05.1997, I R 79/96, BStBl II 1998, 113; BFH v. 26.06.2013, I R 48/12, BStBl II 2014, 367). Die DBA, welche die Bundesrepublik Deutschland abschließt, beruhen regelmäßig auf dem OECD-MA (Drüen in Tipke/Kruse, § 2 AO Rz. 27). Eine Übersicht über den Stand der DBA und der beabsichtigten Abkommen wird vom BMF jährlich herausgegeben (aktuell: BMF v. 22.01.2014, IV B 2-S 1301/07/10017-05, 2014/0061052, BStBl I 2014, 171).
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
vorläufig frei
2. Europarecht
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Recht der EU (Unionsrecht/Europarecht, insbes. EUV und AEUV) leitet sich auch aus völkerrechtlichen Verträgen ab. Gleichwohl fallen sie nicht in den Anwendungsbereich von Art. 59 Abs. 2 GG und § 2 Abs. 1 AO, da Art. 23 Abs. 1 GG als insoweit speziellere Regelung eingreift. Das Europarecht stellt eine autonome, supranationale Rechtsordnung zwischen dem nationalen Recht der Mitgliedstaaten und dem Völkerrecht dar (Oppermann/Classen/Nettesheim, § 9 Rz. 5). Aus dieser Besonderheit folgt die europaweite einheitliche und unmittelbare Geltung des Europarechts, die unabhängig von § 2 Abs. 1 AO einen Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht begründet (Koenig in Koenig, § 2 AO Rz. 14; Grube, DStZ 2007, 371; Zorn/Twardosz DStR 2007, 2185). Dies hat die Bundesrepublik Deutschland mit der Regelung in ...