Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Geschäftsleitung stimmt inhaltlich mit dem "tatsächlichen Verwaltungssitz" im Zivil- und Handelsrecht überein und ist gleichbedeutend mit geschäftlicher Oberleitung. Maßgeblich sind allein die tatsächlichen, nicht die rechtlichen Verhältnisse des Einzelfalles (BFH v. 03.07.1997, IV R 58/95, BStBl II 1998, 86 m. w. N.). Der Ort der Geschäftsleitung bestimmt sich für juristische Personen und Personengesellschaften nach denselben Grundsätzen (BFH v. 03.07.1997, IV R 58/95, BStBl II 1998, 86).
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung befindet sich dort, wo der für die Geschäftsführung des Unternehmens maßgebende Wille gebildet wird, d. h. die für die Geschäftsführung nötigen Maßnahmen von einiger Wichtigkeit angeordnet werden (st. Rspr.: BFH v. 03.07.1997, IV R 58/95, BStBl II 1998, 86; BFH v. 16.12.1998, I R 138/97, BStBl II 1999, 437, jeweils m. w. N.). Nicht abzustellen ist darauf, wo die Anordnungen der Geschäftsleitung vollzogen und die ausführenden Organe tätig werden. In der Regel befindet sich der Mittelpunkt der Geschäftsleitung an dem Ort, wo der Vorstand oder die sonst leitenden und zur Vertretung des Unternehmens befugten Personen die ihnen obliegende geschäftsführende Tätigkeit entfalten, d. h. an dem sie die tatsächlichen, organisatorischen und rechtsgeschäftlichen Handlungen von einiger Wichtigkeit vornehmen, die der gewöhnliche Betrieb des Unternehmens ("Tagesgeschäfte") mit sich bringt (BFH v. 16.12.1998, I R 138/97, BStBl II 1999, 437 m. w. N.); maßgeblich ist nicht, ob diese Personen die Unternehmenspolitik bestimmen oder an ungewöhnlichen Maßnahmen oder an Entscheidungen von besonderer Bedeutung mitwirken (BFH v. 03.07.1997, IV R 58/95, BStBl II 1998, 86 m. w. N.).
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Eine feste eigene Geschäftseinrichtung ist für den Ort der Geschäftsleitung nicht erforderlich, sodass ggf. mangels eines Büros auch die Wohnung des Geschäftsführers oder ein Baucontainer Mittelpunkt der Geschäftsleitung sein können (BFH v. 16.12.1998, I R 138/97, BStBl II 1999, 437). Befindet sich der Geschäftsführer auf einer mehrtägigen Dienstreise und trifft er dort die Geschäftsleitungsentscheidungen, wird der Ort der Entscheidungen nicht Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung, weil nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 AO die Stätte der Geschäftsleitung als Betriebstätte anzusehen ist und dies eine Ortsbezogenheit verlangt (BFH v. 30.01.2002, I R 12/01, BFH/NV 2002, 1128). Bei einer örtlichen Aufteilung der Geschäftsführung in einen technischen und einen kaufmännischen Bereich ist regelmäßig der Ort der kaufmännischen Geschäftsleitung maßgeblich (BFH v. 23.01.1991, I R 22/90, BStBl II 1991, 554). Werden die Geschäfte von mehreren Orten geleitet, ist maßgeblich, wo nach den organisatorischen und wirtschaftlichen Verhältnissen die bedeutungsvollste Leitungstätigkeit erfolgt. Nach der Rspr. und h. M. kann es mehrere Orte der geschäftlichen Oberleitung geben (Buciek in Gosch, § 10 AO Rz. 29; Musil in HHSp, § 10 AO Rz. 41 zu virtuellen Unternehmen; Drüen in Tipke/Kruse, § 10 AO Rz. 9 unter Hinweis auf das Weiterbestehen der bisherigen Vorstände an den bisherigen Orten bei Fusionen; BFH v. 03.07.1997, IV R 58, 95, BStBl II 1998, 96 und BFH v. 16.12.1998, I R 138/97, BStBl II 1999, 437). Lässt sich nicht feststellen, an welchem Ort der bedeutendere Beitrag der Geschäftsleitung geleistet wird, hat das Unternehmen keinen Mittelpunkt der geschäftlichen Oberleitung, sodass gem. § 11 AO auf den Sitz zurückgegriffen werden muss (Drüen in Tipke/Kruse, § 10 Rz. 9; Buciek in Gosch, § 10 AO Rz. 29 m. w. N.). Es kann bei tatsächlicher Unsicherheit über den Ort der Geschäftsleitung jedoch auch eine bindende tatsächliche Verständigung getroffen werden (BFH v. 22.08.2012, I B 86, 87/11, BFH/NV, 2013, 6).
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Von der Geschäftsleitung zu unterscheiden ist die wirtschaftliche Beherrschung eines Unternehmens. Sie reicht nur dann aus, wenn ein nachhaltiges Eingreifen in die laufende Geschäftsführung des Unternehmens hinzutritt, das über die Beobachtung und Kontrolle des laufenden Geschäftsgangs sowie seiner fallweisen Beeinflussung hinausgeht (BFH v. 03.07.1997, IV R 58/95, BStBl II 1998, 96).