I. Höhere Gewalt (§ 171 Abs. 1 AO)
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 171 Abs. 1 AO läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, solange die Steuerfestsetzung wegen höherer Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate des Fristlaufes nicht erfolgen kann.
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Höhere Gewalt sind alle von außen eintretende Ereignisse, die auch bei Anwendung der äußersten, den Umständen nach zu erwartenden Sorgfalt nicht zulassen, dass der Steueranspruch verfolgt wird (BFH v. 30.10.1997, III B 108/95, BFH/NV 1998, 497; zum Einwirken Dritter BFH v. 08.02.2001, VII R 59/99, BStBl II 2001, 506). Der Stpfl. oder die Finanzbehörde darf sich nicht das geringste Verschulden zurechnen lassen müssen (BFH v. 07.05.1993, III R 95/88, BStBl II 1993, 818; Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz. 12). Beispiele für höhere Gewalt sind Krieg, Naturkatastrophen, Streik und andere unabwendbare Zufälle; nicht jedoch Personalmangel, Krankheit oder Tod eines Mitarbeiters (Drüen in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz. 6).
Tz. 7
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Die höhere Gewalt muss ursächlich dafür gewesen sein, dass eine Steuerfestsetzung seitens der Finanzbehörde nicht erfolgen kann. Die Finanzbehörde muss also Kenntnis vom Steueranspruch haben (BFH v. 07.05.1993, III R 95/88, BStBl II 1993, 818). Eine Ursächlichkeit liegt auch dann nicht vor, wenn die Unkenntnis der Finanzbehörde auf höherer Gewalt, wie bspw. einem Brand beruht (Cöster in Pahlke/Koenig, § 171 AO Rz. 12).
Tz. 8
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Weitere Voraussetzung für das Eingreifen der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 1 AO ist, dass sich die höhere Gewalt innerhalb der letzten sechs Monate der Festsetzungsfrist ereignet hat oder ihre Folgen unmittelbar in die letzten sechs Monate des Fristablaufs hineinwirken. Ein vor der sechsmonatigen Frist liegendes Ereignis führt nicht zu einer Ablaufhemmung. Während in den übrigen Fällen des § 171 AO die Ablaufhemmung wirkungslos bleibt, wenn der Hemmungstatbestand vor dem Ablauf der normalen Festsetzungsfrist endet (s. Rz. 3), greift die Verjährungshemmung des § 171 Abs. 1 AO auch bei solchen Störungen der Veranlagungstätigkeit ein, die innerhalb der letzten sechs Monate des Fristablaufs beginnen und sich noch innerhalb dieser Frist erschöpfen (Banniza in HHSp, § 171 AO Rz. 16).
Tz. 9
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Die Festsetzungsfrist verlängert sich um den Zeitraum, während dessen die Hemmung in dem Sechsmonatszeitraum andauerte. Sie kann also maximal eine Zeitspanne von sechs Monaten ausmachen (Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz. 15). Höhere Gewalt hemmt auch die Zahlungsverjährung (s. § 230 AO).
Tz. 10
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Wird aufgrund höherer Gewalt die Frist für den Antrag auf Erstattung oder Erlass von Ein- und Ausfuhrabgaben (Art. 121 Abs. 1 Satz 1 UZK) versäumt, kann nach Art. 121 Abs. 1 Satz 2 UZK die Dreijahresfrist verlängert werden. Die Fristverlängerung tritt jedoch nicht per Gesetz ein. Sie bedarf der Entscheidung der zuständigen Behörde. Liegen die Voraussetzungen des Art. 121 Abs. 1 Satz 2 ZK vor, muss die Behörde die Frist verlängern.
II. Offenbare Unrichtigkeit (§ 171 Abs. 2 AO)
1. Bedeutung des § 171 Abs. 2 AO
Tz. 11
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§ 171 Abs. 2 AO stellt sicher, dass der Finanzbehörde für die Berichtigung einer ihr unterlaufenen offenbaren Unrichtigkeit (§ 129 AO) eine Frist von einem Jahr zur Verfügung steht. Die Frist beginnt mit Bekanntgabe des fehlerbehafteten Bescheids zu laufen. Die Vorschrift hat Bedeutung, wenn ein Steuerbescheid kurz vor Ablauf der Festsetzungsfrist erlassen wird, weil sie es der Finanzbehörde ermöglicht, die offenbare Unrichtigkeit trotz Ablaufs der normalen Festsetzungsfrist innerhalb eines Jahres zu beseitigen (auch Paetsch in Gosch, § 171 AO Rz. 11; Rüsken in Klein, § 171 AO Rz. 17). Dies gilt auch für die von § 173a AO erfassten Fälle, der dem § 129 AO nachgebildet wurde (s. § 173a AO Rz. 10).
2. Offenbare Unrichtigkeit
Tz. 12
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Zum Begriff der offenbaren Unrichtigkeit s. § 129 AO Rz. 6. Für die Ablaufhemmung ist es unerheblich, ob die offenbare Unrichtigkeit sich zugunsten oder zuungunsten des Stpfl. auswirkt (Drüen in Tipke/Kruse, § 170 AO Rz. 7a). Für die nach § 171 Abs. 2 AO eintretende Hemmung des Ablaufs der Festsetzungsfrist ist auch dann allein auf die Bekanntgabe desjenigen Bescheids abzustellen, bei dessen Erlass die offenbare Unrichtigkeit unterlaufen ist, wenn sich der Fehler in mehreren nachfolgenden Bescheiden im Wege der Übernahme wiederholt (BFH v. 08.03.1989, X R 116/87, BStBl II 1989, 531). Die Ablaufhemmung tritt auch dann ein, wenn der die Unrichtigkeit enthaltende Steuerbescheid zulässigerweise nach Ablauf der normalen Festsetzungsfrist erlassen worden ist (BFH v. 14.06.1991, III R 64/89, BStBl II 1992, 52; BFH v. 03.03.2011, III R 45/08, BStBl II 2011, 673; a. A. Drüen in Tipke/Kruse, § 171 AO Rz. 7a; von Wedelstädt in Gosch, § 129 AO Rz. 53 m. w. N.). Der Zeitpunkt der Bekanntgabe des Steuerbescheids bestimmt sich nach § 122 AO und den Vorschriften des VwZG. § 169 Abs. 1 Satz 3 AO findet keine Anwendung (Cöster in Koenig, § 171 AO Rz. 17, Banniza in HHS...