Tz. 37
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ein Ermessensfehlgebrauch (Ermessensmissbrauch) liegt vor, wenn die Finanzbehörde – wie sich aus § 5 AO ableiten lässt – gegen den Zweck der Ermächtigung verstößt und die oben dargestellten Grenzen des Ermessens verletzt (s. Rz. 19 ff.).
aa) Missachtung der allgemeinen Grenzen des Ermessens
Tz. 38
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Fehlerhaft und rechtswidrig handelt die Behörde demnach, wenn sie bei der Ermessensausübung gegen den Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG; s. Rz. 20) verstößt. Bei Ermessensentscheidungen wird der Finanzbehörde jedoch ein Entscheidungsspielraum gewährt, sodass es nicht in jedem Fall ermessensfehlerhaft ist, wenn gleich gelagerte Sachverhalte von verschiedenen Behörden oder auch von derselben Behörde verschieden behandelt werden (BFH v. 07.10.1965, IV 139/65 U, BStBl III 1965, 700). Erst die sog. Ermessensabweichung verletzt den Gleichheitssatz im Hinblick auf die Selbstbindung der Verwaltung (s. Rz. 20), wenn die Behörde ohne zureichenden Grund von einer einheitlich geübten Ermessenspraxis abweicht. Ein Ermessensfehler liegt auch vor, wenn die Finanzbehörde das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot verletzt (BFH v. 28.09.2011, VIII R 8/09, BStBl II 2012, 395).
Die Verletzung der Grundsätze des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit (s. Rz. 21) begründen ebenfalls einen Ermessensfehlgebrauch (BFH v. 15.07.1960, VI 228/57 U, BStBl III 1960, 392; BFH v. 22.03.1988, VII R 8/84, BStBl II 1988, 517).
Ermessensfehlerhaft ist ein Verwaltungsakt, wenn die Finanzbehörde bei seinem Erlass das Verhältnismäßigkeitsprinzip/Übermaßverbot (s. Rz. 22) missachtet (Drüen in Tipke/Kruse, § 5 AO Rz. 60 ff.).
bb) Verletzung des Zwecks der Ermächtigung und der gesetzlichen Grenzen des Ermessens
Tz. 39
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Ein Ermessensfehlgebrauch wegen Nichtbeachtung des Zwecks der Ermächtigung kann sich daraus ergeben, dass die Ermächtigung nicht durch den Zweck der Ermächtigung (s. Rz. 25) gedeckt ist, weil die Finanzbehörde sachfremde Erwägungen anstellt. Bsp.: Die Finanzbehörde darf die Verlängerung der Frist zur Abgabe der ESt-Erklärung nicht von der Entrichtung einer Abschlusszahlung bei Einreichung der ESt-Erklärung abhängig machen (BFH v. 31.05.1954, IV 130/54 U, BStBl III 1954, 244; zum sog. Kopplungsverbot BVerwG v. 17.05.1987, 1 C 163.80, BVerwGE 67, 177, 182). Ein Ermessensfehler durch eine derartige Nebenbestimmung liegt nur dann nicht vor, wenn diese, gemessen am Zweck der Ermächtigung, sachlich gerechtfertigt ist. Dies gilt z. B. für die einstweilige Einstellung oder Beschränkung der Vollstreckung gem. § 258 AO gegen Ratenzahlung (vgl. BFH v. 22.06.1990, III R 150/85, BStBl II 1991, 864; i. Ü. s. § 258 AO Rz. 12, 21).
Werden nicht alle maßgeblichen Erwägungen, die für die Ermessensentscheidung von Bedeutung sind, in der gebotenen Weise einbezogen, begründet dies ebenfalls einen Ermessensfehlgebrauch (BFH v. 05.03.1993, VI R 79/91, BStBl II 1993, 692; FG Münster v. 11.12.2001, 1 K 3470/98, EFG 2002, 728; Maurer, § 7 Rz. 22).
Tz. 40
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vorläufig frei