Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
I. Haftung
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 191 AO behandelt die Festsetzung des auf Gesetz beruhenden Haftungsanspruchs (s. vor § 69 AO) durch einen Haftungsbescheid. Das ist ein Verwaltungsakt, der die Feststellung enthält, dass ein bestimmter Lebenssachverhalt verwirklicht ist, der die Haftungsfolge in einer bestimmten Höhe auslöst (BFH v. 25.05.2005; VII R 29/02, BStBl II 2005, 3). Er konkretisiert sich weiter durch den Anspruch für den gehaftet werden soll in Bezug auf die Person des Stpfl., der Steuerart und des Steuerabschnitts (BFH v. 04.07.2013, X B 91/13, BFH/NV 2013, 1540). Davon zu unterscheiden ist die Inanspruchnahme des Haftenden auf Zahlung durch das Leistungsgebot nach § 219 AO. Der Haftungsbescheid bildet nach § 218 Abs. 1 Satz 1 AO die Grundlage für die unter den besonderen Voraussetzungen des § 219 AO zulässige Verwirklichung des Haftungsanspruchs. Die auf § 219 AO gestützte Zahlungsaufforderung kann mit dem Haftungsbescheid verbunden werden. Der Erlass eines Haftungsbescheids ohne eine solche Zahlungsaufforderung kann z. B. zweckmäßig sein, wenn die für ihn geltende Festsetzungsfrist abzulaufen droht (s. Rz. 16 ff.), die Voraussetzungen des § 219 AO aber noch fraglich sind (s. Rz. 6).
II. Duldung
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die kraft Gesetzes zur Duldung der Vollstreckung Verpflichteten können, soweit überhaupt ein Duldungsbescheid notwendig ist (s. § 77 AO Rz. 3), aufgrund eines Duldungsbescheids in Anspruch genommen werden. Anwendungsfälle finden sich z. B. in den §§ 263 bis 265 AO und in § 323 AO. Bereits zur Geltendmachung der Gläubigerrechte nach dem Anfechtungsgesetz a. F. hat der BFH (BFH v. 10.02.1987, VII R 122/84, BStBl II 1988, 313 m. w. N.) den Erlass von Duldungsbescheiden zugelassen. Nach Inkrafttreten des neuen AnfG ist dies erneut in Zweifel gezogen worden (Huber ZIP 1998, 902). Die Zulässigkeit der Geltendmachung des Duldungsanspruchs hat der Gesetzgeber nun durch § 191 Abs. 1 Satz 2 AO klargestellt (BGH v. 27.07.2006, IX ZB 141/05, DB 2006, 1894). Der klarstellende Charakter ergibt sich auch aus Art. 97 § 11b EGAO, wonach die Vorschrift ab dem 01.01.1999, also mit dem Inkrafttreten des AnfG n. F. anzuwenden ist. Nach § 11b Satz 2 EGAO bleibt auch die Rechtslage zum AnfG a. F. unangetastet (BFH v. 07.02.2002, VII B 14/01, BFH/NV 2002, 757; BFH v. 01.12.2005, VII B 95/05, BFH/NV 2006, 701; BVerwG v. 25.01.2017, 9 C 30.15, HFR 2017, 647: Klage anstelle von VA ist unzulässig). Nach § 11 AnfG i. V. m. den Vorschriften über die ungerechtfertigte Bereicherung nach §§ 812ff. BGB ist Wertersatz zu leisten, wenn der Gegenstand der Anfechtung nicht mehr im Vermögen des Duldungsverpflichteten vorhanden ist. Die Forderung des Wertersatzes ist eine Modalität des Anfechtungsanspruchs, die mit dem Duldungsbescheid geltend zu machen ist. Nach Auffassung des FG Nbg handelt es sich dabei um einen eigenständigen Verwaltungsakt, der mit dem Duldungsbescheid verbunden werden kann (FG Nbg v. 11.03.2014, 2 K 931/12, EFG 2014, 1646).
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das AnfG enthält in §§ 3 und 4 Fristregelungen. Diese sind nach § 7 Abs. 1 AnfG von dem Zeitpunkt zurückzurechnen, in dem die Anfechtbarkeit gerichtlich geltend gemacht wird. Da der Duldungsbescheid an die Stelle der Anfechtungsklage tritt, stellt § 191 Abs. 1 Satz 2 AO klar, dass die Fristen vom Zeitpunkt des Erlasses des Duldungsbescheids zurückzurechnen sind. Ist ein Rechtsbehelfsverfahren gegen einen Duldungsbescheid anhängig, der eine Anfechtung nach dem AnfG zum Gegenstand hat, wird dieses Verfahren mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Vollstreckungsschuldners nach § 17 AnfG unterbrochen (BFH v. 29.03.1994, VII R 120/92, BStBl II 1995, 225). Damit erhält der Verwalter die Möglichkeit, die Anfechtung im Insolvenzverfahren zu verfolgen und als Kläger den Anspruch gegen den Duldungsgegner als Beklagten, verfolgen (BFH v. 18.09.2012, VII R 14/11, BStBl II 2013, 128). Die nicht bis zum Ende eines Insolvenzverfahrens vom Insolvenzverwalter geltend gemachten Anfechtungsansprüche können nach Maßgabe des § 18 AnfG wieder von den einzelnen Gläubigern verfolgt werden (AEAO zu § 191, Nr. 6). Das BMF hat den AEAO zu § 191, Nr. 6 ergänzt (Schr. v. 24.01.2018, BStBl I 2018, 258 Tz. 11). Im Vollstreckungsverfahren gegen den Steuerpflichtigen kann sich ein Dritter u. U. darauf berufen, dass ihm am Gegenstand der Vollstreckung ein die Veräußerung hinderndes Rechts zusteht (s. § 262 AO) oder dass er ein Pfand- oder Vorzugsrecht an der Sache hat (s. § 293 AO). In beiden Fällen hat der Dritte sein Recht vor den ordentlichen Gerichten zu verfolgen. Hat er das Recht in anfechtbarer Weise erlangt, kann die beklagte Körperschaft in diesem Klageverfahren die Anfechtung nach § 9 AnfG einredeweise geltend machen. § 191 Abs. 1 Satz 2 AO stellt klar, dass diese Möglichkeit neben dem Duldungsbescheid bestehen bleibt. Der Verzicht auf die Erhebung der Einrede im Prozess führt nicht dazu, dass das FA das Recht verliert, später einen Duld...