Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der öffentlich-rechtliche Haftungsanspruch kann seine tatbestandlichen Wurzeln sowohl in Steuergesetzen als auch in außersteuerlichen Rechtsgrundlagen haben. Häufig stehen steuerrechtliche und außersteuerrechtliche Haftungstatbestände nebeneinander (einfache Gesetzeskonkurrenz), wobei sich die Tatbestände vollständig oder auch nur teilweise decken können. Abweichungen können sich sowohl bei dem die Haftung begründenden Tatbestand als auch bei dem zeitlichen oder sachlichen Haftungsumfang ergeben. Soweit die Tatbestände nicht kongruent sind, beeinflussen sie den Geltungs- und Wirkungsbereich des jeweils anderen Tatbestandes nicht. Die verschiedenen Haftungsvorschriften sind ergänzend nebeneinander anwendbar. Der Gläubiger kann die für ihn günstigste Haftungsfolge nach seiner Wahl in Ausübung pflichtgemäßen Ermessens (s. § 5 AO) aus dem jeweils weitest gehenden gesetzlichen Tatbestand herleiten. So kann ein Gesellschafter-Geschäftsführer einer OHG aus der relativ einfach zu begründenden und weit reichenden Anspruchsgrundlage des § 128 HGB in Anspruch genommen werden und ggfs. weniger umfassend wegen schuldhafter Pflichtwidrigkeit nach § 69 AO.
I. Steuerrechtliche Haftungstatbestände
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Steuerrechtliche Haftungstatbestände finden sich nicht nur in der AO (s. §§ 69 bis 76 AO), sondern auch in den Einzelsteuergesetzen. Letztere gehen in ihrer praktischen Bedeutung zum Teil über die §§ 69ff. AO hinaus. Zu erwähnen sind in diesem Zusammenhang die Haftung des Arbeitgebers für die Lohnsteuer (s. § 42d EStG), die Haftung für die Kapitalertragsteuer (s. § 44 Abs. 5 EStG), für den Steuerabzug bei Einkünften beschränkt Stpfl. (s. § 50a EStG) und die Haftung desjenigen, der unrichtige Spendenbestätigungen ausstellt (s. § 10b Abs. 4 Satz 3 EStG, § 9 Satz 8 KStG), die Haftung für die Umsatzsteuer bei Abtretung, Verpfändung oder Pfändung von Forderungen (s. § 13c UStG), die Haftung für die schuldhaft nicht abgeführte Umsatzsteuer (s. § 25d UStG) sowie die Haftung nach § 20 Abs. 3 und 6 ErbStG, § 11 GrStG und § 7 VersStG. Der gemeinschaftsrechtliche Zollkodex kennt nur Zollschuldner (s. Art. 77 Abs. 3, Art. 78 Abs. 3, Art. 79 Abs. 3 und 4, Art. 81 Abs. 3, Art. 82 Abs. 3 und 4UZK), die jeweils gesamtschuldnerisch zur Erfüllung der Zollschuld verpflichtet sind (s. Art. 84 UZK). Die Haftungstatbestände der AO treten bei Überschneidung mit Zollschuldtatbeständen des UZK hinter diesen zurück. Obwohl die Ausgleichsabgabe nach § 37a Abs. 1 BImSchG den Charakter einer Sanktion hat, soll sie wie eine Steuer behandelt werden, so dass auch Haftung gem. § 69 AO anwendbar ist (BFH v. 02.11.2015, VII B 68/15, BFH/NV 2016, 173).
II. Außersteuerrechtliche Haftungstatbestände
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Zivilrecht enthält eine große Zahl von Haftungstatbeständen, die sich ganz oder teilweise mit steuerrechtlichen Tatbeständen decken können. Die Geltendmachung erfolgt in jedem Fall durch Haftungsbescheid nach § 191 AO (BFH v. 21.01.1986, VII R 179/83, BStBl II 1986, 383; Blesinger, Haftung und Duldung im Steuerrecht, 2005, S. 163 ff.; a. A. BFH v. 19.12.2013, III R 25/10, BStBl II 2015, 119). Nachstehend sei auf wichtige außersteuerliche Haftungsvorschriften hingewiesen, die erfahrungsgemäß in der steuerlichen Praxis eine Rolle spielen können. Die Aufzählung ist jedoch nicht erschöpfend.
1. BGB
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§§ 2382, 2383 BGB: Haftung des Erbschaftskäufers.
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Bei der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (s. §§ 705ff. BGB) stellt sich die Frage nach der Haftung der Gesellschafter da, wo die Gesellschaft bürgerlichen Rechts Steuerrechtssubjekt und damit selbst Steuerschuldner ist. Das ist z. B. bei der Umsatzsteuer, Gewerbesteuer oder Grunderwerbsteuer der Fall (BFH v. 11.02.1987, II R 103/84, BStBl II 1987, 325; BFH v. 09.05.2006, VII R 50/05, BStBl II 2007, 600). Die Haftung des Gesellschafters einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts wird durch die entsprechende Anwendung des § 128 HGB (Akzessorietätslehre) begründet. Dem liegt zugrunde, dass der Gesellschaft bürgerlichen Rechts eine (Teil-) Rechtsfähigkeit zuerkannt wird (BGH v. 29.01.2002, II 331/00, BB 2002, 1015; BGH v. 24.02.2003, II ZR 385/99, DStR 2003, 747 zur Haftung für gesetzlich begründete Verbindlichkeiten; zur Grundrechtsfähigkeit s. BVerfG v. 02.09.2002, 1BvR 1103/02, NJW 2002, 3533). Der BFH hat sich dem angeschlossen (BFH v. 09.05.2006, VII R 50/05, BStBl II 2007, 600). Dies hat zur Folge, dass neu eintretende Gesellschafter auch für Altverbindlichkeiten haften (BGH v. 07.04.2003, II ZR 56/02, NJW 2003, 1803; anders noch BFH v. 02.02.1994, II R 7/91, BStBl II 1995, 300) und dass eine einseitige Erklärung nicht zur Beschränkung der Haftung auf das Gesellschaftsvermögen führen kann (BGH v. 27.09.1999, II ZR 371/98, BB 1999, 2152; BFH v. 27.03.1990, VII R 26/89, BStBl II 1990, 939). Konsequent erstreckt sich die Haftung nicht nur auf Steuerschulden, sondern auf alle Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis (BFH v. 27.06.1989, ...