Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Kernvoraussetzung für eine Billigkeitsmaßnahme nach § 258 AO ist, dass die Vollstreckung im Einzelfall unbillig ist. Diese Form der Unbilligkeit stellt im Vergleich zur Unbilligkeit der Einziehung – so die Terminologie beim Erlass (§ 227 AO), die voraussetzt, dass es schlechthin unbillig ist, den Anspruch geltend zu machen – ein Weniger dar (BFH v. 24.09.1991, VII B 107/91, BFH/NV 1992, 503).
Tz. 6
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§ 258 AO findet grundsätzlich nur dann Anwendung, wenn die Umstände, die eine Vollstreckung im konkreten Fall unbillig erscheinen lassen, lediglich vorübergehender Natur sind, d. h. wenn die Vollstreckung oder eine einzelne Vollstreckungsmaßnahme dem Vollstreckungsschuldner einen unangemessenen Nachteil bringen würde, der durch kurzfristiges Zuwarten oder durch eine andere Vollstreckungsmaßnahme vermieden werden kann (BFH v. 15.01.2003, V S 17/02, BFH/NV 2003, 78; BFH v. 08.07.2004, VII B 35/04, BFH/NV 2004, 1621; BFH v. 12.12.2005, VII R 63/04, BFH/NV 2006, 900; BFH v. 21.04.2009, I B 178/08, BFH/NV 2009, 1596). Kurzfristigkeit in diesem Sinne nimmt die Rspr. an, wenn der Zeitraum, innerhalb dessen die Rückstände getilgt werden können, absehbar ist. Dies ist regelmäßig bei einem Zeitraum von bis zu sechs Monaten, in Ausnahmefällen bis zu zwölf Monaten, jedenfalls aber nicht über einen Zeitraum von mehreren Jahren der Fall (verneint bei sieben Jahren: BFH v. 05.10.2001, VII B 15/01, BFH/NV 2002, 160; verneint bei fünf Jahren: BFH v. 31.05.2005, VII R 62/04, BFH/NV 2005, 1743). Daran hat auch die Einführung der InsO nichts geändert.
Tz. 7
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Werden Ratenzahlungen angeboten und muss aufgrund des Verhaltens des Vollstreckungsschuldners mit hinreichender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass er die Zusage nicht einhalten wird, scheidet die Gewährung von Vollstreckungsaufschub auch dann aus, wenn die Vollstreckung unbillig ist und nach den angebotenen Raten eine Tilgung in absehbarer Zeit versprochen wird (BFH v. 24.09.1991, VII B 107/91, BFH/NV 1992, 503).
Tz. 8
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Demgegenüber kommt eine längerfristige Einstellung der Vollstreckung nur ausnahmsweise in Betracht, wenn die betreffenden Vollstreckungsmaßnahmen geeignet sind, Gefahr für das Leben oder die Gesundheit des Vollstreckungsschuldners auszulösen (BFH v. 05.10.2001, VII B 15/01, BFH/NV 2002, 160; BFH v. 08.07.2004, VII B 35/04, BFH/NV 2004, 1621; BFH v. 28.09.2006, V B 71/05, juris). Diesen Ausnahmefall hat der BFH anhand der zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, § 765a ZPO ergangenen Rechtsprechung des BVerfG entwickelt (BVerfG v. 03.10.1979, 1 BvR 614/79, BVerfGE 52, 214; s. FG Sa v. 03.02.2006, 2 V 44/06, EFG 2006, 546).
Tz. 9
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Meist werden die eine Unbilligkeit begründenden unangemessenen Nachteile in den persönlichen Verhältnissen des Vollstreckungsschuldners liegen, insbes. dann, wenn die Vollstreckung eine wirtschaftliche Existenzvernichtung oder -bedrohung zur Folge hätte. Krankheit des Vollstreckungsschuldners soll regelmäßig nicht, kann aber in Ausnahmefällen eine Unbilligkeit zur Folge haben (BFH v. 20.08.1991, VII S 40/91, BFH/NV 1992, 317). Jedenfalls müssen die zu erwartenden Nachteile über die Nachteile hinausgehen, die mit einer Vollstreckung ohnehin einhergehen (s. BFH v. 15.12.1992, VII B 131/92, BFH/NV 1993, 460; Abschn. 7 Abs. 2 VollstrA).
Tz. 10
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Noch nicht beschiedene Stundungsanträge, Anträge auf Zahlungsaufschub und Anträge auf Aussetzung der Vollziehung führen nicht automatisch zur Unbilligkeit der Zwangsvollstreckung (s. § 251 AO Rz. 2 f.). Anderes gilt aus dem auch im Vollstreckungsrecht geltenden Grundsatz von Treu und Glauben, wenn voraussehbar ist, dass einem solchen Antrag stattgegeben werden wird oder stattzugeben ist (BFH v. 20.08.1991, VII S 40/91, BFH/NV 1992, 317; BFH v. 29.08.1991, V R 78/86, BStBl II 1991, 906), denn eine gegen Treu und Glauben verstoßende unzulässige Rechtsausübung liegt vor, wenn eine Leistung gefordert wird, die alsbald zurückzuerstatten wäre (dolo petit, qui petit, quod statim redditurus est). Eine Vollstreckung ist danach unbillig, wenn vollstreckt wird, obwohl das Erlangte alsbald zurückzugewähren ist (BFH v. 12.06.1991, VII B 66/91, BFH/NV 1992, 156).