Tz. 2
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Vorschrift definiert einen eigenen steuerrechtlichen Begriff des Wohnsitzes. Einen Wohnsitz kann nur eine natürliche Person haben. Im Gegensatz zum bürgerlichen Recht, nach dem Begründung, Beibehaltung und Aufgabe des Wohnsitzes rechtsgeschäftliche Willenserklärungen darstellen, die Geschäftsfähigkeit voraussetzen (§§ 7, 8 BGB), knüpft der Wohnsitzbegriff des Steuerrechts an die tatsächliche Gestaltung der äußeren Verhältnisse an (st. Rspr., s. BFH v. 22.04.1994, III R 22/92, BStBl II 1994, 887). Melderechtliche Normen sowie bürgerlichrechtliche Vorschriften über Begründung, Beibehaltung und Aufgabe eines Wohnsitzes sind unmaßgeblich (BFH v. 23.11.2000, VI R 107/99, BStBl II 2001, 294 m. w. N.). Dies gilt auch für ausländerrechtliche Bestimmungen, die einem dauerhaften Verbleib im Inland entgegenstehen (FG BW v. 07.09.1990, IX K 96/88, EFG 1991, 102; Nds. FG v. 30.09.1997, XV 380/97 Ki, EFG 1998, 377). Die Willensrichtung (und damit auch die Geschäftsfähigkeit) des Stpfl. ist steuerlich unbeachtlich, solange und soweit sie zu der tatsächlichen Gestaltung in Widerspruch steht (BFH v. 23.11.1988 II R 139/87, BStBl II 1989, 182). Auch ein Minderjähriger kann also steuerlich einen Wohnsitz begründen und aufgeben, wobei es auf den Willen des gesetzlichen Vertreters nicht ankommt. Die Begründung und Aufhebung des Wohnsitzes setzt allerdings einen natürlichen Willen voraus (BFH v. 22.04.1994, III R 22/92, BStBl II 1994, 887 m. w. N.). Ein ins Ausland entführtes Kind behält i. d. R. seinen Wohnsitz im Inland, solange die Umstände nicht darauf schließen lassen, dass es nicht zurückkehrt (BFH v. 30.10.2002, VIII R 86/00, BFH/NV 2003, 464; BFH v. 05.05.2014, III B 156/13, BFH/NV 2014, 1208 m. w. N.).
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wie im bürgerlichen Recht kann auch in steuerlicher Hinsicht ein doppelter oder gar mehrfacher Wohnsitz, sei es im Inland oder im Ausland vorhanden sein (s. § 19 Abs. 1 Satz 2 AO; s. BFH v. 18.12.2013, III R 44/12, BFHE 244, 344 = BFH/NV 2014, 773 m. w. N.). Ebenso kann jemand an dem einen Ort seinen Wohnsitz und an einem anderen Ort seinen gewöhnlichen Aufenthalt haben; um die Annahme eines gewöhnlichen Aufenthalts (§ 9 AO) zu begründen, braucht der Wohnsitz nicht aufgegeben zu sein. Wegen der Auswirkung auf die Zuständigkeit der FA s. § 19 AO.