Tz. 2

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Die Untätigkeitsklage ist (grds.) zulässig, wenn das FA in angemessener Frist, von der Einlegung des Rechtsbehelfs an gerechnet, über den Rechtsbehelf ohne Mitteilung eines zureichenden Grundes sachlich nicht entschieden hat (§ 46 Abs. 1 Satz 1 FGO), wobei die Klage nicht vor Ablauf von sechs Monaten erhoben werden kann (§ 46 Abs. 1 Satz 2 FGO). Zwingende Voraussetzung ist, dass der Kläger überhaupt einen Einspruch eingelegt hat (vgl. BFH v. 20.04.2012, III B 36/11, BFH/NV 2012, 1169).

I. Keine Einspruchsentscheidung

 

Tz. 3

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Eine Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf i. S. von § 46 Abs. 1 Satz 1 FGO liegt erst mit der Bekanntgabe an den Rechtsbehelfsführer, nicht schon mit abschließender Zeichnung vor (BFH v. 25.05.1973, VI B 95/72, BStBl II 1973, 665). Auch die Verwerfung des Einspruchs als unzulässig ist eine Entscheidung in diesem Sinn und steht der Erhebung einer Untätigkeitsklage entgegen (zur Anfechtbarkeit der Einspruchsentscheidung in solchen Fällen s. § 44 FGO Rz. 7). Allerdings können besondere Umstände des Falles, z. B. ein dringliches Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen, die Untätigkeitsklage schon nach Verstreichen einer kürzeren Frist als der gesetzlich vorgesehenen sechs Monate zulässig machen. Solche besonderen Umstände, die die Person des Klägers betreffen (z. B. Auswanderung, Wehrdienst) oder in der Natur der Sache liegen (z. B. Vollstreckungsmaßnahmen) können, unterliegen voll der Nachprüfung durch das Gericht. Sie sind z. B. nicht allein darin zu sehen, dass es sich bei dem angefochtenen Verwaltungsakt um einen Haftungsbescheid handelt (BFH v. 06.12.1972, I R 177/72, BStBl II 1973, 228; BFH v. 13.10.1977, V R 57/74, BStBl II 1978, 154). Besteht objektiv keine Möglichkeit zur Entscheidung der Sache durch die Behörde (und damit auch durch das Gericht), weil das BVerfG eine im Streitfall anzuwendende Norm für verfassungswidrig erklärt und der Gesetzgeber die erforderliche gesetzliche Neuregelung noch nicht getroffen hat, so ist die Untätigkeitsklage stets unzulässig, weil rechtsmissbräuchlich (BFH v. 11.08.1992, III B 143/92, BFH/NV 1993, 310; BFH v. 30.06.1995, III B 187/94, BFH/NV 1996, 412). Eine rechtsmissbräuchlich erhobene Untätigkeitsklage kann nicht in die Zulässigkeit hineinwachsen. Eine Aussetzung des Verfahrens gem. § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO durch das FG kommt dann nicht in Betracht (BFH v. 08.07.1994, III R 78/92, BStBl II 1994, 859; s. Rz. 8).

II. Ablauf einer angemessenen Frist seit Einspruchseinlegung

 

Tz. 4

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

§ 46 Abs. 1 Satz 1 FGO enthält keine Aussage darüber, was eine angemessene Frist seit Einlegung des Einspruchs darstellt. Die Angemessenheit bestimmt sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles, also z. B. nach dem Umfang des Falles, Umfang und Schwierigkeiten der gebotenen Sachverhaltsermittlung (Levedag in Gräber, § 46 FGO Rz. 11 ff.; Steinhauff in HHSp, § 46 FGO Rz. 110 ff. Seer in Tipke/Kruse, § 46 FGO Rz. 7). Aufgrund der Regelung des § 46 Abs. 1 Satz 2 FGO kann allerdings davon ausgegangen werden, dass die Frist von sechs Monaten vom Gesetzgeber für den Regelfall als angemessen angesehen wird (BGH v. 27.04.2004, IV R 18/04, BFH/NV 2006, 2017; BFH v. 27.06.2012, XI B 8/12, BFH/NV 2012, 1809). Sie kann aber im Einzelfall auch länger sein (FG Köln v. 05.06.2014, 15 K 1958/13, EFG 2014, 1605). Eine vorzeitig erhobene Untätigkeitsklage ist unzulässig, sodass über sie sachlich nicht entschieden werden kann (BFH v. 13.10.1977, V R 57/74, BStBl II 1978, 154). Dabei kommt es nicht auf den Zeitpunkt der Klageerhebung, sondern den der Entscheidung (bzw. Hauptsachenerledigung) an (BFH v. 13.05.1971, V B 61/70, BStBl II 1971, 492; BFH v. 28.09.1990, VI R 98/89, 100/89, VI R 98/89, VI R 100/89, BStBl II 1991, 363 m. w. N.; Ausnahme: missbräuchliche Untätigkeitsklage, BFH 08.05.1992, III B 138/92, BStBl II 1992, 673): eine zunächst unzulässige (weil "verfrühte") Klage kann auch durch den Wegfall des zunächst vorhandenen und mitgeteilten "zureichenden Grundes" in die Zulässigkeit "hineinwachsen" (BVerwG v. 20.01.1966, I C 24.63, BVerwGE 23, 135; BFH v. 07.03.2006, IV B 78/04, BStBl II 2006, 430; auch Seer in Tipke/Kruse, § 46 FGO Rz. 8; Steinhauff in HHSp, § 46 FGO Rz. 70; Levedag in Gräber, § 46 FGO Rz. 9). Damit die Klage in die Zulässigkeit hineinwachsen kann, hat das FG die Klage nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO grds. auszusetzen. Insoweit besteht zwar ein Ermessen des Gerichts. Aber gerade im Hinblick darauf, dass die verfrüht erhobene Untätigkeitsklage in die Zulässigkeit hineinwachsen kann, ist unter Beachtung des Art. 19 Abs. 4 GG eine Aussetzung des Verfahrens nach § 46 Abs. 1 Satz 3 FGO regelmäßig geboten (BFH v. 30.09.2015, V B 135/14, BFH/NV 2016, 51; BFH v. 13.09.2016, V B 26/16, BFH/NV 2017, 53; vgl. auch BVerwG v. 20.01.1966, I C 24.63, BVerwGE 23, 135; Kopp/Schenke, § 75 VwGO Rz. 16).

III. Keine Mitteilung eines zureichenden Grundes

 

Tz. 5

Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018

Voraussetzung für die Untätigkeitsklage ist, dass das FA die Entscheidung über den außergerichtlichen Rechtsbehelf ohne...

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