I. Ermessen
Tz. 18
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Berichtigung der offenbaren Unrichtigkeit kann jederzeit zugunsten wie zuungunsten des Steuerpflichtigen durch Verwaltungsakt erfolgen. Sie steht nach § 129 AO im pflichtgemäßen Ermessen (§ 5 AO) der Finanzbehörde. Hat sich der Fehler auf die Steuerfestsetzung ausgewirkt, ist im Hinblick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung nach § 88 AO das Ermessen auf Null reduziert (von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 230, von Wedelstädt in Gosch, § 129 AO Rz. 48), d. h. es muss berichtigt werden; Ermessenserwägungen sind weder anzustellen noch darzulegen, wenn keine andere Entscheidung als die Berichtigung rechtmäßig wäre (BFH v. 28.10.1992, II R 111/89, BFH/NV 1993, 637). Die Berichtigungsbefugnis kann nach Treu und Glauben entfallen. Dies gilt ausnahmsweise nur dann, wenn die offenbare Unrichtigkeit ausschließlich auf einen Fehler der Finanzbehörde zurückgeht und die Berichtigung das schutzwürdige Vertrauen des Steuerpflichtigen verletzen würde, etwa weil das Finanzamt den Anschein erweckt hat, dass der Verwaltungsakt so, wie er bekannt gegeben worden ist, tatsächlich gewollt war (BFH v. 24.10.1984, II R 30/81, BStBl II 1985, 218, 221; BFH v. 13.12.2011, VIII B 136/11, BFH/NV 2012, 550; s. FG Köln v. 05.09.1991, 7 K 5921/90, EFG 1992, 107; von Wedelstädt in Gosch, § 129 AO Rz. 48).
II. Berechtigtes Interesse (§ 129 Satz 2 AO)
Tz. 19
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Steuerpflichtige hat bei einem berechtigten Interesse nach § 129 Satz 2 AO einen Anspruch auf Berichtigung. Dies liegt insbes. dann vor, wenn die Berichtigung sich auf einen betrags- oder ziffernmäßig mitgeteilten Regelungsinhalt des Verwaltungsaktes bezieht oder der unrichtige Verwaltungsakt Bindungswirkung für andere Verwaltungsakte hat (s. auch Seer in Tipke/Kruse, § 129 AO Rz. 31; Intemann in Koenig, § 129 AO Rz. 54).
III. Zeitliche Grenze der Berichtigung
Tz. 20
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Berichtigung nach § 129 AO kann jederzeit, d. h. auch im Einspruchs- oder Klageverfahren erfolgen (s. Rz. 2 und s. Rz. 25). Sie ist auch noch nach Eintritt der Bestandskraft möglich. Eine Einschränkung gilt allerdings bei der Berichtigung von Steuerbescheiden. Diese können nur bis zum Ablauf der Festsetzungsfrist berichtigt werden. Jedoch kann nach Auffassung des BFH ein Berichtigungsbescheid auch dann noch erlassen werden, wenn der zu berichtigende Bescheid erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist ergangen ist, sofern die Frist des § 171 Abs. 2 AO noch nicht abgelaufen ist (BFH v. 14.06.1991, III R 64/89, BStBl II 1992, 52; v. 03.03.2011, III R 45/08, BStBl II 2011, 673). Nach § 171 Abs. 2 AO endet die Festsetzungsfrist im Falle einer offenbaren Unrichtigkeit nicht vor Ablauf eines Jahres nach Bekanntgabe des die Unrichtigkeit enthaltenden Steuerbescheides. Anknüpfungspunkt für die Ablaufhemmung ist der Bescheid, bei dessen Erlass die offenbare Unrichtigkeit erstmals unterlaufen ist (BFH v. 08.03.1989, X R 116/87, BStBl II 1989, 531). Wird vor Ablauf der Festsetzungsfrist ein Antrag auf Berichtigung nach § 129 AO gestellt, läuft die Festsetzungsfrist nicht ab, bevor über den Antrag unanfechtbar entscheiden worden ist (§ 171 Abs. 3 AO).
Tz. 21
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Darüber hinaus bestehen folgende zeitliche Grenzen für die Berichtigung (s. AEAO zu § 129, Nr. 6): Aufteilungsbescheide können nur bis zur Beendigung der Vollstreckung (§ 280 AO), Verwaltungsakte, die sich auf Zahlungsansprüche richten, nur bis zum Ablauf der Zahlungsverjährung (§ 228 AO) berichtigt werden.
IV. Umfang der Berichtigung
Tz. 22
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Die Berichtigung nach § 129 AO bezieht sich nur auf die Beseitigung der offenbaren Unrichtigkeit; andere Fehler können nur dann mitkorrigiert werden, wenn die Tatbestandsmerkmale anderer Korrekturvorschriften erfüllt sind. Streitig ist, ob eine Saldierung nach § 177 AO vorzunehmen ist. Dies wird z. T. mit der Begründung abgelehnt, der Wortlaut des § 177 AO spreche nur von der Aufhebung oder Änderung, nicht jedoch von der Berichtigung eines Steuerbescheides. Dagegen begründet die wohl h. M. die Anwendung des § 177 AO damit, dass § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2d AO nur §§ 130 und 131 AO, nicht aber § 129 AO ausschließe. Nach der Rechtsprechung des BFH darf die Finanzbehörde die Berichtigung nach § 129 AO zugunsten des Steuerpflichtigen ablehnen, wenn sie sich bei der Ausübung ihres pflichtgemäßen Ermessens auf eine Saldierungsmöglichkeit berufen kann (BFH v. 04.06.2008, X R 47/07, BFH/NV 2008, 1801; zustimmend Seer in Tipke/Kruse, § 129 AO Rz. 27; von Wedelstädt in Gosch, § 129 AO Rz. 54.5 m. w. N.; Ratschow in Klein § 129 AO Rz. 38). Der Auffassung des BFH ist zuzustimmen (s. § 177 AO Rz. 9). Die Finanzverwaltung wendet § 177 AO entsprechend an (AEAO zu § 129, Nr. 5 und zu § 177, Nr. 6).
V. Vorlage des zu berichtigenden Schriftstücks (§ 129 Satz 3 AO)
Tz. 23
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Finanzbehörde ist nach § 129 Satz 3 AO berechtigt, die Vorlage des Schriftstücks zu verlangen, das berichtigt werden soll. Das Vorlageverlangen steht im Ermessen der Behörde. Die Vorlage ist nicht Voraussetzung für die Wirksamkeit der Berichtigun...