Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 45 Abs. 2 AO befasst sich mit der Erbenhaftung, § 265 AO mit der Vollstreckung gegen Erben. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 AO haben Erben für die aus dem Nachlass zu entrichtenden Schulden nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts über die Haftung des Erben für Nachlassverbindlichkeiten einzustehen. Da die Erben Gesamtrechtsnachfolger sind, gehen die Forderungen und Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis nach § 45 Abs. 1 Satz 1 AO auf sie über, sie sind somit selbst Schuldner. § 45 Abs. 2 AO verknüpft das Ausmaß, in dem die Erben für die hiernach auf sie übergegangenen Schulden einstehen müssen, mit den die Erbenhaftung betreffenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts (s. §§ 1967ff. BGB). Unter Haftung in diesem Sinne ist daher das Einstehen für eine eigene Schuld gemeint. Der hier im zivilrechtlichen Sinn verwendete Begriff der Haftung entspricht nicht dem sonst verwendeten steuerlichen Haftungsbegriff (s. vor §§ 69 – 77 AO Rz. 1). § 45 Abs. 2 AO hat insbes. wegen der durch ihn eröffneten Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch Anordnung von Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz (s. § 1975 BGB) auch mit Wirkung auf die übergegangenen Schulden aus dem Steuerschuldverhältnis Bedeutung. Die Beschränkung der Erbenhaftung durch die Einreden der Dürftigkeit oder Unzulänglichkeit des Nachlasses ist weder im Steuerfestsetzungsverfahren noch gegen das Leistungsgebot geltend zu machen, sondern allein im Vollstreckungsverfahren (BFH v. 11.08.1998, VII R 118/95, BStBl II 1998, 705). Der Vorbehalt beschränkter Erbenhaftung braucht im Steuerbescheid nicht ausgesprochen zu werden. § 780 ZPO ist nicht entsprechend anwendbar (BFH v. 01.07.2003 VIII R 45/01, BStBl II 2004, 35). Die Beschränkung der Erbenhaftung gilt naturgemäß nur für ererbte Steuerschulden. Einkünfte, die nach dem Tode des Erblassers aus dem Nachlass erzielt werden, erzeugen Eigensteuerschulden des Erben, und zwar auch dann wenn Nachlassverwaltung angeordnet ist und die Erträge des Nachlassvermögens zur Schuldentilgung verwendet werden (BFH v. 28.04.1992, VII R 33/91, BStBl II 1992, 781). Das gilt auch dann, wenn die daraus entstehende Einkommensteuer als Nachlasserbenschuld (BFH v. 05.06.1991, XI R 26/89, BStBl II 1991, 820) angesehen wird, und zwar unabhängig davon, ob im Innenverhältnis ein Ersatzanspruch gegen den Nachlass (s. § 1978 Abs. 2, 3 § 1979 BGB) besteht. In Abgrenzung dazu hat der BFH nun ausgeführt, im Fall der Nachlassverwaltung kommt es für die Beschränkung der Erbenhaftung gem. § 45 Abs. 2 Satz 1 AO i. V. m. § 1975 BGB allein darauf an, ob zivilrechtlich eine Nachlassverbindlichkeit vorliegt. Dass der Nachlass weder Einkommensteuer- noch Körperschaftsteuersubjekt ist, führt nicht zur Ablehnung einer solchen Nachlassverbindlichkeit. Wird eine Steuerschuld der Erben durch die Tätigkeit des Nachlassverwalters verursacht, liegt zivilrechtlich vielmehr eine Nachlassverbindlichkeit als Erbfallschuld vor (BFH v. 10.11.2015, VII R 35/13, BStBl II 2016, 372).
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wer Erbe ist, richtet sich nach dem bürgerlichen Recht. Dieses unterscheidet zwischen gesetzlichen und gewillkürten (Testaments-)Erben, Vertragserben und Vor- und Nacherben. Vor- und Nacherbe sind nach § 2100 BGB Erben des Erblassers. Der Nacherbe ist nicht Erbe des Vorerben. Die "Haftung" des Nacherben setzt den Eintritt der Nacherbfolge voraus, und zwar auch dann, wenn der Nacherbe einzelne Nachlassgegenstände bereits vom Vorerben unter Lebenden erworben hat (BFH v. 20.01.1961, III 76/59, HFR 1962, 20). Zwar ist der Vorerbe in der Verfügung über die zur Erbschaft gehörenden Gegenstände gewissen Beschränkungen unterworfen (s. §§ 2113 bis 2115 BGB), er ist jedoch ohne Zustimmung des Nacherben befugt, Prozesshandlungen in Bezug auf den Nachlass vorzunehmen (BFH v. 25.04.1969, III 127/85, BStBl II 1969, 622).
Tz. 13
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Kein Erbe ist der Erbschaftskäufer (s. §§ 2371ff. BGB). Die Inanspruchnahme eines Erbschaftskäufers aus § 45 AO scheidet deshalb aus. In Betracht kommt jedoch seine Haftung gem. §§ 2382 und 2383 BGB (s. § 191 AO).
Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach Anordnung von Nachlassverwaltung oder Nachlassinsolvenz ist die persönliche Inanspruchnahme des Erben nur dann zulässig, wenn er unbeschränkt haftet, d. h. die Möglichkeit der Haftungsbeschränkung durch Verletzung der Inventarpflicht oder der Pflicht zur eidesstattlichen Versicherung der Vollständigkeit des Inventars (s. §§ 2005, 2006 BGB) verloren hat. Durch Verletzung dieser Pflichten verliert der Erbe auch die "Erschöpfungseinrede" (s. § 1990 BGB; BFH v. 15.11.1961, VII 165/58, HFR 1962, 143).
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Nach § 45 Abs. 2 Satz 2 AO bleiben Vorschriften, durch die eine steuerrechtliche Haftung der Erben begründet wird, unberührt. Die ggf. bürgerlich-rechtlich bestehende Möglichkeit einer Haftungsbeschränkung scheidet dann für die steuerrechtlichen Verpflichtungen aus. Beachte hierzu insbes.