Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die persönliche Haftung der in den §§ 34 und 35 AO bezeichneten Personen für vom Steuerpflichtigen geschuldete Steuern und die übrigen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. des § 37 AO setzt viererlei voraus: 1. Der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis ist nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden. 2. Es liegt eine Verletzung der den betroffenen Personen in den §§ 34 und 35 AO auferlegten Pflichten vor. 3. Die Pflichtverletzung ist vorsätzlich oder grob fahrlässig geschehen. 4. Die Beeinträchtigung der Ansprüche des Fiskus muss ihre Ursache in der Pflichtverletzung haben.
I. Unterlassene bzw. verspätete Steuerfestsetzung oder -entrichtung
Tz. 6
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis muss nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder entrichtet worden sein. Die Gesetzesfassung berücksichtigt, dass im Regelfall bei einer unterbliebenen Festsetzung keine Fälligkeit eintritt (s. § 220 Abs. 2 AO) und deshalb die Entrichtung insoweit zu Recht unterbleibt. In diesem Fall ist der Pflichtverstoß im Festsetzungsverfahren zu suchen. Hätte der Betroffene hier ordnungsgemäß mitgewirkt, wäre die Steuer festgesetzt worden. Dann wäre die Fälligkeit mit der Folge der Zahlungspflicht eingetreten. Die unterbliebene Festsetzung gegen den Steuerpflichtigen braucht nicht als Voraussetzung für das Entstehen des Haftungsanspruchs nachgeholt zu werden (Arg.: § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 AO). Über das Bestehen des Anspruchs gegen den Pflichtigen kann auch im Verfahren gegen den Haftenden entschieden werden (Beispiel für eine gerechtfertigte Unterlassung der Festsetzung gegen den Steuerpflichtigen: es handelt sich um eine Gesellschaft, die vermögenslos und zivilrechtlich vollbeendet ist). Nicht rechtzeitig festgesetzt ist der Anspruch z. B., wenn in den Fällen, in denen eine Steueranmeldung vorgesehen ist, diese nicht innerhalb der gesetzlichen Frist abgegeben wurde. Nicht erfüllt wird der Anspruch, wenn die geschuldete Leistung nicht bewirkt wird. Der Anspruch ist nicht rechtzeitig erfüllt, wenn bei Fälligkeit nicht bezahlt wird bzw. die anzumeldenden Steuern bzw. Vorauszahlungen nicht in dem Zeitpunkt entrichtet werden, in dem sie bei ordnungsgemäßer Erfüllung der Pflichten zu entrichten gewesen wären.
Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Beeinträchtigung der Ansprüche des Fiskus muss sich nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht als Steuerverkürzung i. S. der §§ 370 oder 378 AO darstellen (s. § 71 AO). Entsprechend § 37 AO fällt darunter auch die nicht oder nicht rechtzeitige Festsetzung oder Befriedigung von Ansprüchen auf Erstattung zu Unrecht gewährter Steuervergütungen und Rückzahlung zu Unrecht erstatteter Beträge (BFH v. 21.05.1985, VII R 191/82, BStBl II 1985, 488 für den Fall zu Unrecht ausgezahlter Vorsteuerüberschüsse).
II. Pflichtverletzung
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Es muss eine Verletzung der den betroffenen Personen in den §§ 34 und 35 AO auferlegten Pflichten vorliegen, die ursächlichfür den Eintritt des Haftungsschadens ist (s. Rz. 20). Unter diese Pflichten fallen neben der in § 34 Abs. 1 Satz 2 AO besonders erwähnten Zahlungspflicht, die weiteren, jeden Steuerpflichtigen treffenden Verpflichtungen, wie die Erklärungs-, Auskunfts-, Nachweis-, Berichtigungs-, Buchführungs- und Aufzeichnungspflichten (s. § 33 Abs. 1 AO und § 34 AO Rz. 11 ff.). Die Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung ist nicht immer bereits dann verletzt, wenn die gesetzliche Abgabefrist abgelaufen ist, vielmehr schiebt eine gewährte Fristverlängerung den Zeitpunkt des Eintritts der Pflichtwidrigkeit hinaus (BFH v. 29.11.2006, I R 103/05, BFH/NV 2007, 1067). Bedient sich die aus den §§ 34 oder 35 AO verpflichtete Person bei der Erfüllung der ihr obliegenden Pflichten anderer Personen (z. B. Angestellter, Boten) so kann eine Pflichtwidrigkeit u. U. bei der Auswahl oder Überwachung dieser Personen unterlaufen (s. § 831 BGB).
III. Verschulden
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Es muss eine vorsätzliche oder grob fahrlässige Pflichtverletzung vorliegen. Die vorsätzliche Pflichtverletzung kann auch eine Haftung nach § 71 AO begründen. Es steht dem FA frei, ob es einen Haftungsbescheid neben § 69 AO auch auf § 71 AO stützt. Im Zweifelsfalle darf das FA die Frage des Vorliegens eines Vorsatzes auf sich beruhen lassen und sich mit der Feststellung einer groben Fahrlässigkeit begnügen (BFH v. 11.08.2005, VII B 312/04, BFH/NV 2005, 2153).
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Vorsätzlich handelt, wer den Erfolg seines Handelns erkennt, ihn in seinen Handlungswillen mit einbezieht oder wenigstens billigend in Kauf nimmt.
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Fahrlässig handelt, wer die ihm nach den gegebenen Umständen und seinen persönlichen Verhältnissen (Kenntnissen, Erfahrungen, Einsichtsfähigkeit) zuzumutende Sorgfalt außer Acht lässt. § 69 Satz 1 AO setzt eine grob fahrlässige Pflichtverletzung voraus. Es muss sich also um eine schwerwiegende, bereits ohne erhöhte Anforderungen an die Gewissenhaftigkeit vermeidbare Außerachtlassung der Sorgf...