Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Missbrauch heißt Wahl einer unangemessenen rechtlichen Gestaltung, die im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Das ist z. B. die Wahl eines Vertrages oder eines einseitigen Rechtsgeschäfts, zu einem Zweck, der normalerweise auf einem anderen Wege verfolgt wird. Die gewählte unangemessene rechtliche Gestaltung soll so den Eintritt einer steuerlichen Folge bewirken, die bei einem gewöhnlichen Gebrauch des Rechts anders eingetreten wäre. Der unbestimmte Rechtsbegriff der unangemessenen rechtlichen Gestaltung wird an die Anlehnung der Rspr. des BFH in § 42 Abs. 2 AO konkretisiert (BR-Drs. 544/07, 106). Unangemessen ist danach eine Gestaltung, wenn sie von verständigen Dritten in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung ohne den Steuervorteil nicht gewählt worden wäre. Bei einer grenzüberschreitenden Gestaltung ist Unangemessenheit anzunehmen, wenn die gewählte Gestaltung rein künstlich ist und nur dazu dient, die im Inland geschuldete Steuer zu umgehen (s. AEAO zu § 42, Nr. 2; Bericht des Finanzausschusses, BT-Drs. 16/7037, 34). Das BMF hat den AEAO zu § 42, Nr. 2 geändert (Schr. v. 24.01.2018, BStBl I 2018, 258, Tz. 2).
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ob ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, ist für jede Steuerart, gesondert nach den Wertungen des Gesetzgebers, die den jeweils maßgeblichen Regelungen zugrunde liegen, zu beurteilen (BFH v. 10.12.1992, V R 90/92, BStBl II 1993, 700). Bedient sich der Stpfl. steuerlicher Gestaltungsrechte (z. B. der Option nach § 9 UStG), so stellt sich nicht die Frage, ob die Ausübung dieses Gestaltungsrechts missbräuchlich ist, sondern vielmehr die, ob die zugrunde liegende rechtliche Gestaltung missbräuchlich ist, die die Option erst ermöglicht (BFH v. 09.11.2006, V R 43/04, BStBl II 2007, 344). Beachtliche außersteuerliche Gründe können wirtschaftliche oder persönliche Gründe sein. Sie liegen nach der Gesetzesbegründung nicht vor, wenn der Grund für die gewählte Gestaltung in erster Linie der Steuerersparnis dient (BR-Drs. 544/07, 106). Diese Gewichtung von Motiven findet aber im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag. Daher scheidet ein Missbrauch bereits dann aus, wenn auch andere vernünftige Gründe für die Gestaltung vorhanden sind (Lenz/Gerhard, BB 2007, 2429).
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ob ein Missbrauch im Sinne des Gesetzes vorliegt, kann nur anhand der Umstände des Falles entschieden werden. Bei der Berücksichtigung aller einschlägigen Gegebenheiten muss sich der von dem oder den Beteiligten gewählte Weg als offenbar unangemessen erweisen. Es muss sich um eine am Gesetzeszweck vorbeizielende Gestaltung handeln (BFH v. 10.02.1988, II R 145/85, BStBl II 1988, 547). Bei gekünstelten, umständlichen oder schwerfälligen Gestaltungen spricht eine Vermutung für ihre Unangemessenheit (BFH v. 01.02.2001, IV R 3/00, BStBl II 2001, 520, 524). Wirtschaftliche oder sonst beachtliche nicht steuerliche Gründe, die zur Wahl eines ungewöhnlichen Wegs geführt haben, stehen der Annahme eines Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsformen in der Regel entgegen (BFH v. 15.10.1998, III R 75/97, BStBl II 1999, 119). Gründe nichtsteuerlicher Art, die für die gewählte Vertragsgestaltung von beachtlicher Bedeutung waren, können den Verdacht eines Missbrauchs entkräften. Was ungewöhnlich ist, begründet jedenfalls noch keinen Missbrauch. Je häufiger eine Gestaltungsform im Verkehr anzutreffen ist, um so weniger wird sie als missbräuchlich qualifiziert werden. Angesichts besonderer Umstände kann sich aber auch eine im Verkehr sonst vielfach beobachtete Gestaltungsform im konkreten Fall als missbräuchlich erweisen.
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Gestaltungen, die nur den Zweck verfolgen, Steuern zu sparen oder Steuervergünstigungen zu erlangen, sind aus diesem Grunde allein nicht missbräuchlich (BFH v. 31.05.1972, II R 92/67, BStBl II 1972, 836; BFH v. 08.12.1965, II 148/62 U, BStBl III 1966, 148), zumal der Gesetzgeber selbst mit Hilfe der Steuerpolitik auf wirtschaftliche Vorgänge bewusst Einfluss nimmt und zu diesem Zweck zahlreiche steuerliche Anreize schafft. Den Vorschriften über die Steuerumgehung kommt nur die Aufgabe zu, Ergebnisse zu verhindern, die bei sinnvoller Auslegung der Steuerrechtsordnung zu missbilligen sind (BFH v. 20.10.1965, II 119/62 U, BStBl III 1965, 697). Es geht nicht darum, das verständliche Streben der Stpfl. einzuschränken, angesichts der Besteuerung nach den für sie günstigsten Gestaltungsmöglichkeiten zu suchen. Dabei können auch neue Wege und Gestaltungen, die zunächst ungewöhnlich anmuten, eine sinnvolle Gestaltungsalternative darstellen, wenn sie nach allen Richtungen folgerichtig durchgeführt werden (zu sog. Abschreibungsgesellschaften BFH v. 04.08.1971, I R 209/69, BStBl II 1972, 10).
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 42 Abs. 2 Satz 2 AO enthält eine Beweislastumkehr (s. Rz. 37), soweit dem Stpfl. auf...