Tz. 22
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Umfang der zulässigen Korrektur ist der einschlägigen Gesetzesvorschrift zu entnehmen, auf der die Änderung oder Aufhebung beruht. Grds. erlauben die §§ 172ff. AO im Hinblick auf das aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) abzuleitende Gebot der Rechtssicherheit (s. Rz. 1) – anders als § 164 Abs. 2 AO – nur eine punktuelle Änderung des betreffenden Steuerbescheids (s. Rz. 26). Jedoch wird durch § 177 AO den Finanzbehörden bei jeder Änderung oder Aufhebung eine Saldierung der betragsmäßigen Auswirkung dieser Maßnahme mit gegenläufig wirkenden Berichtigungen bisher im Verwaltungsakt enthaltener materieller Fehler zur Pflicht gemacht, innerhalb des Umfangs der zulässigerweise durchbrochenen Bestandskraft (s. § 177 AO Rz. 3). Durch diese sachlich und umfangmäßig beschränkte Wiederaufrollung hat der Gesetzgeber einen vertretbaren Ausgleich zwischen den fundamentalen, aber kontroversen Grundsätzen der Rechtssicherheit (des Rechtsfriedens) und der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung zu finden gesucht (s. Rz. 1). Dem Rechtsfrieden dient auch § 176 AO, der die Aufhebung und Änderung der einschlägigen Bescheide einem besonderen Vertrauensschutz unterstellt.
Tz. 23
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Aufhebung eines Steuerbescheids oder eines ihm gleichgestellten Verwaltungsakts bewirkt den Verlust seiner Wirksamkeit mit dem Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids über die Aufhebung und den Verlust der durch den aufgehobenen Bescheid ausgelösten Rechtswirkungen (§ 124 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 AO, von Wedelstädt in Gosch, § 172 AO Rz. 51). Wurden aufgrund des aufgehobenen Bescheids Zahlungen geleistet, ist mit dem Erlass des Aufhebungsbescheids der rechtliche Grund für die Zahlung weggefallen.
Tz. 24
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Bei der Änderung eines Steuerbescheides wird ein Teil seiner Rechtswirkungen durch einen neuen Regelungsgehalt ersetzt. Den nicht geänderten Teil nimmt der Änderungsbescheid in seinen Regelungsgehalt mit auf, sodass der ursprüngliche Bescheid keine Wirkung mehr entfaltet, solange der Änderungsbescheid wirksam ist. Er ist demnach in dem Umfang, in dem er in den Änderungsbescheid aufgenommen ist, suspendiert. Wird der Aufhebungs- oder Änderungsbescheid aufgehoben, lebt der ursprüngliche Bescheid nach zutreffender h. M. wieder auf (BFH v. 28.03.2007, II R 25/05, BFH/NV 2007, 1421; BFH v. 09.12.2004, VII R 16/03, BStBl II 2006, 346; von Wedelstädt in Gosch, § 172 AO Rz. 52 m. w. N.; a. A. Loose in Tipke/Kruse, § 172 AO Rz. 52; von Groll in HHSp, Vor §§ 172–177 AO Rz. 112). Die Änderung eines Bescheides wird nicht dadurch rechtswidrig, dass die Änderung auf die falsche Änderungsnorm gestützt wurde. Die Änderungsnorm ist als Begründung der Änderung i. S. von § 121 Abs. 1 AO austauschbar und erwächst nicht in Bestandskraft.
Tz. 25
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Eine Ersetzung eines Verwaltungsaktes durch einen anderen Verwaltungsakt liegt hingegen vor, wenn der bisherige VA vollinhaltlich aufgehoben wurde und an seine Stelle eine die bisherige Regelung auch nicht teilweise wiederholende anderweitige hoheitliche Maßnahme (§ 118 AO) tritt. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn ein Steuerbescheid aufgehoben wird und an seiner Stelle gegen den Betroffenen ein Haftungsbescheid erlassen wird.
Tz. 26
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Durch das Eingreifen von Korrekturvorschriften findet keine Gesamtaufrollung statt. Der Steuerbescheid wird lediglich partiell im Rahmen des Anwendungsbereiches der Änderungsnorm auf seine Rechtmäßigkeit überprüft. Auch die Bestandskraft wird nicht vollumfänglich durchbrochen, sondern lediglich im Umfang der steuerlichen Auswirkungen, die dem Änderungsgrund zugrunde liegen (s. Rz. 22).
Tz. 27
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Der Umfang der Änderung von Steuerbescheiden ist auch durch tatsächliche Verständigungen beschränkt. Solche können im Fall von erschwerter Sachverhaltsaufklärung über die Annahme eines bestimmten Sachverhaltes getroffen werden. Ein Steuerbescheid darf soweit er diese Verständigung betrifft und verständigungskonform umsetzt, nicht geändert werden (von Wedelstädt in Gosch, § 172 AO Rz. 70; auch s. Vor §§ 204–207 Rz. 33). Die Bindungswirkung trifft auch den Stpfl. (vgl. BFH v. 06.02.2015, IX B 97/14, BFH/NV 2015, 821).
Tz. 28
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Eintritt der Bestandskraft hat auch weitere verfahrensrechtliche bzw. prozessuale Folgen: Abgesehen davon, dass die Versäumung der Einspruchsfrist (§ 355 AO) bzw. der Klagefrist (§ 47 FGO) zur Unzulässigkeit dieser Rechtsbehelfe führt, bindet die materielle Bestandskraft auch die Gerichte. Eine gegen einen bestandskräftigen Verwaltungsakt erhobene Klage ist unbegründet (z. B. BFH v. 01.09.1998, VIII R 46/93, BFH/NV 1999, 596; BFH v. 22.08.2013, X B 89/12, BFH/NV 2013, 1939). Wenn der angefochtene Verwaltungsakt bestandskräftig ist, besteht für einen Antrag auf AdV kein Rechtsschutzbedürfnis und der Antrag ist unzulässig (s. § 69 FGO Rz. 11). Im Zusammenhang mit de...