Tz. 7
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
In den in § 363 Abs. 2 AO genannten Fällen kann das Ruhen des Verfahrens angeordnet werden. Das Ruhen des Verfahrens kann durch Antrag des Einspruchsführers oder Mitteilung der Finanzbehörde jederzeit wieder fortgeführt werden (§ 363 Abs. 2 Satz 4 AO). Wird das nach § 361 Abs. 2 Satz 1 AO angeordnete Ruhen widerrufen, ist der Widerruf nur durch Klage gegen die Einspruchsentscheidung anzufechten. Ein isolierter Einspruch ist wegen § 363 Abs. 3 Satz 4 AO nicht zulässig.
I. Mit Zustimmung
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Finanzbehörde kann das Verfahren mit Zustimmung des Einspruchsführers ruhen lassen, wenn dies aus wichtigen Gründen zweckmäßig erscheint. Wichtige Gründe sind die Anhängigkeit von Verfassungsbeschwerden, Musterprozessen oder Normenkontrollklagen, die Durchführung einer Außenprüfung, die Verhandlung mit Oberbehörden, eine zu erwartende Gesetzesänderung mit Rückwirkung oder bei zeitaufwendiger Aufklärung des Sachverhalts im Ausland. Das Ruhen ist immer dann zweckmäßig, wenn Arbeitsaufwand erspart und widersprüchliche Entscheidungen vermieden werden.
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Anordnung nach § 363 Abs. 2 Satz 1 AO setzt die Zustimmung des Einspruchsführers voraus. Es muss also Einvernehmlichkeit zwischen Finanzbehörde und Einspruchsführer bestehen. Die Zustimmung unterliegt keinem Formerfordernis. Sie kann ohne Angabe von Gründen verweigert werden und ist jederzeit widerrufbar, auch wenn dies missbräuchlich erscheint (FG Sa v. 03.04.1981, II 550/80, EFG 1981, 431). Der Einspruchsführer kann sich nach Abgabe der Zustimmung nicht mehr auf eine überlange Verfahrensdauer berufen (BFH v. 26.10.2011, X B 230/10, BFH/NV 2012, 174).
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
vorläufig frei
II. Kraft Gesetzes
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Das Ruhen des Verfahrens tritt kraft Gesetzes ein, wenn der Einspruchsführer sich ausdrücklich auf eine Rechtsbehauptung stützt, wegen der ein Verfahren beim EuGH, beim BVerfG oder bei einem sonstigen obersten Bundesgericht anhängig ist. Dabei ist § 363 Abs. 2 Satz 2 AO nicht auf Musterprozesse beschränkt (so aber Birkenfeld in HHSp, § 363 AO Rz. 181, 187), sondern gibt jeder anhängigen Rechtsfrage die Wirkung, das Ruhen des Einspruchsverfahrens auslösen zu können, soweit der Einspruch sich auf sie stützt (Brandis in Tipke/Kruse, § 363 AO Rz. 13).
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Einspruchsführer muss sich zur Begründung seines Einspruchs auf das anhängige Verfahren berufen. Es genügt also nicht, dass über die Rechtsbehauptung, die der Einspruchsführer aufstellt, objektiv ein Verfahren anhängig ist. Vielmehr muss er sich ausdrücklich auf dieses Verfahren berufen, was bei der Vielzahl der anhängigen Verfahren nicht unproblematisch ist. Ein anderes Verständnis würde aber zu erheblicher Rechtsunsicherheit führen, da wohl auch von der Finanzbehörde nicht zu erwarten ist, dass sie über den Stand der anhängigen Verfahren umfassend informiert ist (so auch Brandis in Tipke/Kruse, § 363 AO Rz. 14; Birkenfeld in HHSp, § 363 AO Rz. 181 f.). Fehlt es an einer Berufung auf das Verfahren, kommt eine Aussetzung nach § 363 Abs. 1 AO oder ein Ruhen nach § 363 Abs. 1 Satz 2 AO in Betracht. Die Verfahrensruhe endet mit der Entscheidung des anhängigen Verfahrens, auf das sich der Einspruchsführer berufen hat. Durch die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung setzt sich die Zwangsruhe nicht automatisch fort. Der Einspruchsführer muss seinen Einspruch nun vielmehr auch auf die Verfassungsbeschwerde erstrecken (BFH v. 30.09.2010, III R 39/08, BStBl II 2011, 11; Birkenfeld in HHSp, § 363 AO Rz. 184).
Tz. 13
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Die Zwangsruhe tritt nicht ein, wenn die Steuer nach § 165 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO vorläufig festgesetzt wurde. Sie ist entbehrlich, weil der Vorläufigkeitsvermerk von einer Einspruchsentscheidung nicht berührt wird. Das Einspruchsverfahren ruht nur "insoweit", als das das anhängige Verfahren den Einspruchsbescheid beeinflussen kann. Hinsichtlich der nicht vom Ruhen des Verfahrens betroffenen Streitpunkte kann durch Erlass einer Teileinspruchsentscheidung (§ 367 Abs. 2a AO) oder durch Teilabhilfebescheid entschieden werden (FG Nds v. 16.02.2010, 12 K 119/08, DStRE 2010, 1328; AEAO zu § 363, Nr. 3 Satz 2; Brandis in Tipke/Kruse, § 363 AO Rz. 16).
Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
vorläufig frei
III. Kraft Allgemeinverfügung
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Mit Zustimmung der obersten Finanzbehörde kann durch öffentlich bekanntzugebende Allgemeinverfügung für bestimmte Gruppen gleichgelagerter Fälle angeordnet werden, dass Einspruchsverfahren auch in anderen als den in § 363 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO genannten Fällen ruhen zu lassen. Die Anordnung des Ruhens erfolgt hier in Form einer öffentlich bekanntzugebenden Allgemeinverfügung. Gemeint sind vornehmlich solche Fälle, in denen anhand einer an breiter Front geführten Diskussion über die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm oder unterschiedlicher Instanzrechtsprechung abzusehen ist...