Tz. 24
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Antrag gem. § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO ist von einem Einspruch abzugrenzen. Denn § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO eröffnet dem Stpfl. eine echte Wahlmöglichkeit zwischen einem bloßen Änderungsantrag (häufig als "Antrag auf schlichte Änderung" bezeichnet) und der Einlegung eines Einspruchs (BFH v. 27.02.2003, V R 87/01, BStBl II 2003, 505; inzident auch BFH v. 05.05.2003, II B 1/03, BFH/NV 2003, 1142; Loose in Tipke/Kruse, § 172 AO Rz. 29).
Tz. 25
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Es bestehen erhebliche Unterschiede zwischen Einspruch und Antrag nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO (BFH v. 27.02.2003, V R 87/01, BStBl II 2003, 505). Im Gegensatz zu einem Antrag ist der Einspruch nicht formfrei, sondern muss nach § 357 Abs. 1 Satz 1 AO schriftlich, elektronisch oder zur Niederschrift erklärt werden. Die Änderung des Bescheids lässt der Antrag auf schlichte Änderung nur soweit zu, wie der Antrag reicht. Die materielle Bestandskraft der Steuerfestsetzung wird nur insoweit durchbrochen. Bei einer beantragten Änderung zugunsten des Stpfl. ist daher nach Ablauf der Einspruchsfrist eine Erweiterung des Antrags nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO nicht möglich. Eine Wiederaufrollung des Falles findet abgesehen von der durch § 177 AO begründeten Saldierungsmöglichkeit nicht statt. Der Antrag auf schlichte Änderung hemmt den Ablauf der Festsetzungsfrist betragsmäßig nur im Umfang des Antrags.
Tz. 26
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Demgegenüber hemmt der Einspruch den Eintritt der Bestandskraft des Steuerbescheids in vollem Umfang. Infolgedessen kann die Finanzbehörde nach § 367 Abs. 2 Satz 1 AO die Sache im vollen Umfang erneut prüfen und den Bescheid auch aus anderen Gründen sowohl zugunsten als auch zulasten des Stpfl. ändern (reformatio in peius, § 367 Abs. 2 Satz 2 AO). Eine Erweiterung des Einspruchs kann der Einspruchsführer auch nach Ablauf der Einspruchsfrist vornehmen. Im Gegensatz zum Antrag auf schlichte Änderung ist die AdV des Steuerbescheids (§ 361 Abs. 2 AO) zulässig (von Wedelstädt in Gosch, § 172 Rz. 148). Der Antrag auf "schlichte Änderung" hat somit gegenüber dem Einspruch in der Regel keinen Vorteil, vielmehr den Nachteil, dass die Änderung im (zwar sehr eingeschränkten) Ermessen der Behörde steht (Loose in Tipke/Kruse, § 172 AO Rz. 30; aber die Ermessensreduzierung s. Rz. 15). Die bei einem Einspruch bestehende Verböserungsgefahr (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO) lässt sich durch eine (teilweise) Rücknahme des Einspruchs nach dem – zwingend gebotenen – Hinweis des FA auf die Möglichkeit der Verböserung vermeiden (dazu z. B. Bartone in Gosch, § 357 AO Rz. 15). Nach Rüsken (in Klein, § 172 AO Rz. 51) soll für einen schlichten Änderungsantrag, der neben einem Einspruch gestellt wird, i. d. R. das Bescheidungsinteresse fehlen (so auch BFH v. 27.09.1994, VIII R 36/89, BStBl II 1995, 353; a. A. von Wedelstädt in Gosch, § 172 AO Rz. 152).
Tz. 27
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Im Hinblick auf § 357 Abs. 1 Satz 4 AO muss der Einspruch nicht zwingend als solcher bezeichnet werden. Ergibt sich aus der Erklärung des Stpfl. nicht zweifelsfrei und eindeutig, ob er einen Einspruch einlegt, kann es sich bei dem Begehren des Stpfl. sowohl um einen Antrag auf schlichte Änderung als auch um einen Einspruch handeln. In Zweifelsfällen ist der Antragsteller über die Bedeutung seines Antrags zu befragen. Ist dies nicht möglich, ist das Ersuchen entsprechend §§ 133, 157 AO auszulegen. Dabei sind die Erklärungen des Stpfl. im Zweifel so auszulegen, dass dasjenige gewollt ist, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage der Erklärenden entspricht (BFH v. 7.11.2001, XI R 14/00, BFH/NV 2002, 745; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 747). Im Zweifel ist ein Antrag als Einspruch anzusehen, weil dieser die Rechte des Stpfl. umfassender wahrt (BFH v. 27.02.2003, V R 87/01, BStBl II 2003, 505; BFH v. 05.05.2003, II B 1/03, BFH/NV 2003, 1142; von Wedelstädt in Bartone/von Wedelstädt, Rz. 748).
Tz. 27a
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die Umdeutung eines Änderungsantrags in einen Rechtsbehelf gegen den eindeutigen Willen des Erklärenden ist unzulässig (FG Nbg v. 25.04.1996, IV 202/95, EFG 1996, 1195) selbst wenn die Einlegung eines Einspruchs nur mit Rücksicht auf die damit verbundene Verböserungsmöglichkeit unterlassen wurde (§ 367 Abs. 2 Satz 2 AO). Eine Umdeutung darf sich nicht als Verfälschung einer eindeutigen Willenserklärung erweisen. Sie dient vielmehr der Offenlegung des durch einen missglückten Wortlaut verdeckten wirklichen Willens des Erklärenden. Die dargestellte Abgrenzung zwischen Antrag und Rechtsbehelf schließt allerdings nicht aus, dass diese gleichzeitig vorliegen können. Um von der Existenz eines Antrags nach § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO neben einem Einspruch ausgehen zu können, müssen aber besondere und eindeutige Umstände gegeben sein (BFH v. 05.11.2009, IV R 40/07, BStBl II 2010,...