I. Allgemeine Mitwirkungspflicht, § 90 Abs. 1 AO
Tz. 3
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 90 Abs. 1 Satz 1 AO verpflichtet die Beteiligten zur Mitwirkung bei der Ermittlung des Sachverhalts. Beteiligte sind in aller Regel die Stpfl., die einen Besteuerungstatbestand verwirklicht haben. Die Mitwirkungspflicht beschränkt sich auf den Sachverhalt, die Stpfl. sind demnach nicht verpflichtet, ihren Sachvortrag um Rechtsausführungen zu ergänzen, auch wenn dies im Einzelfall zweifelsohne sinnvoll sein kann. Vollständig und wahrheitsgemäß müssen die steuerlich erheblichen Tatsachen dargelegt werden. Insoweit trifft den zur Mitwirkung verpflichteten Beteiligten eine Wahrheitspflicht. Allerdings muss er sich keiner Steuerstraftat oder -ordnungswidrigkeit bezichtigen. Zur Mitwirkungspflicht gehört nach § 90 Abs. 1 Satz 2 AO auch die Verpflichtung zur Angabe der den Beteiligten bekannten Beweismittel (vgl. BFH v. 18.08.2010, X B 178/09, BFH/NV 2010, 2010). Ohne die Verpflichtung zur Angabe der dem Beteiligten und häufig allein nur ihm bekannten Beweismittel würde die Finanzbehörde nicht selten in Beweisnot geraten. Dem trägt Abs. 1 Satz 3 Rechnung. Deshalb kann auch in Bezug auf Tatsachen, bezüglich derer die Feststellungslast grds. beim FA liegt (i. d. R. steuererhöhende Tatsachen), eine erhöhte Mitwirkungspflicht für diejenigen Tatsachen bestehen, die in der Sphäre des Stpfl. liegen. Die erhöhte Mitwirkungspflicht entbindet das FA jedoch nicht davon, eigene Aufklärungsversuche zu unternehmen (BFH v. 28.10.2009, I R 28/08, BFH/NV 2010, 432). Die Erfüllung dieser Pflicht ist mit der Stellung eines Beweisantrags nicht identisch; sie begründet weder eine subjektive noch eine objektive Beweislast. Welche konkreten Handlungen die Mitwirkungspflicht im Einzelfall gebietet, ist den jeweiligen Umständen zu entnehmen. Dabei dürfen die Anforderungen an die Mitwirkung des Stpfl. nicht überspannt werden. Erfordert werden können nur Mitwirkungshandlungen, die zur Aufklärung des Sachverhalts geeignet und erforderlich sind und vom Stpfl. auch in zumutbarer Weise erfüllt werden können. Eine andere Frage ist, wie sich aus der Sicht der FinVerw vermeidbare Mängel der Mitwirkung auswirken. Erscheinungsformen von Mitwirkungspflichten sind in zahlreichen gesonderten Vorschriften zu finden. So besteht nach § 93 AO eine Auskunftspflicht der Beteiligten, nach § 97 AO die Verpflichtung zur Vorlage von Urkunden, nach § 99 AO die Pflicht zur Duldung des Betretens von Grundstücken usw. und nach § 200 AO eine erhöhte Mitwirkungspflicht bei Außenprüfungen. Auch in den Einzelsteuergesetzen können Anzeige- und damit Mitwirkungspflichten geregelt sein, wie z. B. die Anzeige nach § 30 ErbStG (BFH v. 30.08.2017, II R 46/15, BFH/NV 2018, 125).
II. Erhöhte Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten, § 90 Abs. 2 AO
Tz. 4
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 90 Abs. 2 AO trägt der Tatsache Rechnung, dass die Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörde hinsichtlich von Auslandsbeziehungen erheblich eingeschränkt sind (Grundsatz der formellen Territorialität; vgl. Seer in Tipke/Kruse, § 90 AO Tz. 18), weil Ermittlungshandlungen im Ausland grundsätzlich nicht möglich sind. Um gleichwohl zu einer möglichst zutreffenden Steuerfestsetzung zu kommen, werden die Mitwirkungspflichten der Beteiligten erheblich verstärkt. Sie haben im Gegensatz zu dem ansonsten gem. § 88 AO herrschenden und die Behörde primär belastenden Grundsatz der amtlichen Ermittlungspflicht die Verpflichtung, den betreffenden Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen (§ 90 Abs. 2 Satz 1 AO). Die bloße Benennung der Beweismittel reicht damit nicht aus; vielmehr müssen die Beteiligten die Behörde in die Lage versetzen, sich der Beweismittel zu bedienen. Deshalb sind z. B. ausländische Zeugen, die nicht im Inland wohnen, durch den Steuerpflichtigen zu stellen (BFH v. 26.07.1995, I R 78/93, I R 86/94, BFH/NV 1996, 383; BFH v. 07.07.2008, VIII B 106/07, BFH/NV 2008, 2028; v. 21.06.2010, VII B 247/09, BFH/NV 2010, 2113; v. 05.08.2011, III B 144/10, BFH/NV 2011, 1915; v. 13.02.2012, II B 12/12, BFH/NV 2012, 772; BFH v. 11.07.2013, IV R 27/09, BStBl II 2013, 989; BFH v. 18.04.2017, III B 76/16, BFH/NV 2017, 1050). In der Praxis wichtige Beispiele für erhöhte Mitwirkungspflichten sind z. B. die Einschaltung ausländischer Domizilgesellschaften (typischer Fall: Benennung eines Zahlungsempfängers), Nachweis von Unterhaltszahlungen an im Ausland ansässige Angehörige (BFH v. 27.07.2011, VI R 62/10, BFH/NV 2012, 710), Ermittlung von Betriebsausgaben, bei denen sich der Zahlungsempfänger im Ausland befindet, Bestehen einer ausl. Gütergemeinschaft (BFH v. 31.05.2010, X B 162/09, BFH/NV 2010, 2011). Negative Tatsachen unterliegen nicht der erhöhten Mitwirkungspflicht des Abs. 2 (BFH v. 10.05.2017, II R 53/14, BFH/NV 2017, 1389).
Tz. 5
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Bei der Erfüllung dieser Pflichten haben die Beteiligten alle für sie bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszuschöpfen (§ 90 Abs. 2 Satz 2 AO). Dies gilt grds. aber auch für die FinVerw., die vorhandene Ermittlungsmöglichk...