Tz. 13
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Vollstreckung ist Verwirklichung von Steueransprüchen oder einem bestimmten Tun, Dulden oder Unterlassen durch Verwaltungszwang. Der Verwaltungszwang ist Ausfluss der hoheitlichen Staatsgewalt und bedarf zu seiner Rechtfertigung in jedem Fall einer besonderen gesetzlichen Verankerung. Die Arten und die Durchführung der Vollstreckungshandlungen, die den Finanzbehörden nach §§ 249ff. AO eröffnet sind, sind zum großen Teil den Vorschriften der ZPO über die Zwangsvollstreckung entliehen bzw. angepasst; häufig wird ergänzend auf einschlägige Bestimmungen der ZPO verwiesen (s. insbes. §§ 262 bis 266 AO).
Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Gegenüber dem Vollstreckungsverfahren der ZPO bestehen jedoch wesentliche Unterschiede. Zuallererst ist die Tatsache zu nennen, dass sich der Steuergläubiger, genauer die mit der Verwaltung der Abgabe betraute Finanzbehörde, wegen seiner Ansprüche – anders als es die ZPO kennt – selbst befriedigt (s. BFH v. 22.10.2002, VII R 56/00, BStBl II 2003, 109). Die allgemeinen Vollstreckungsvoraussetzungen der ZPO, Titel, Klausel, Zustellung sind allenfalls in modifizierter Form auszumachen. Vergleichbar dem Titel, ist für die Vollstreckung von steuerrechtlichen Ansprüchen ein den Anspruch festsetzender Verwaltungsakt erforderlich, im Regelfall der Steuerbescheid. Eine dem § 757 vergleichbare Pflicht, den Titel vorzulegen, besteht nicht; der Verlust der Steuerakten steht der Vollstreckung somit nicht entgegen (BFH v. 30.01.2009, VII B 235/08, BFH/NV 2009, 1077). Wirksam wird der Titel "Verwaltungsakt" mit seiner Bekanntgabe (§ 124 Abs. 1 AO). Auch wenn die Finanzbehörde bei der Vollstreckung ausnahmsweise der Mitwirkung eines Gerichtes bedarf bzw. die Durchführung von Vollstreckungsmaßnahmen dem Gericht übertragen ist (s. § 322 AO; Vollstreckung in das unbewegliche Vermögen), bleiben die nach der ZPO für die Zwangsvollstreckung erforderlichen Voraussetzungen weiterhin entbehrlich. Als besondere Zwangsvollstreckungsvoraussetzung verlangt § 254 Abs. 1 AO aber die förmliche Aufforderung an den Verpflichteten zur Leistung, Duldung oder Unterlassung, das Leistungsgebot. Dieses Leistungsgebot ist ein selbstständiger Verwaltungsakt. Es ist nur dann entbehrlich, wenn dies ausdrücklich gesetzlich bestimmt ist (s. z. B. § 254 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 AO).
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Gegen den Bund oder ein Land ist die Vollstreckung gem. § 255 Abs. 1 Satz 1 AO nicht zulässig; gegen juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Staatsaufsicht unterliegen, mit Ausnahme der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute, nur mit Zustimmung der betreffenden Aufsichtsbehörde (§ 255 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 AO).
Tz. 16
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wegen einer rechtsgeschäftlich übernommenen Verpflichtung, die Steuer eines anderen zu bezahlen oder dafür einzustehen, sei es als Bürge, sei es als Selbstschuldner, kommt die Durchführung des Vollstreckungsverfahrens nach dem Sechsten Teil der AO nicht in Betracht. Hier muss die Finanzbehörde den ordentlichen Rechtsweg beschreiten (§ 192 AO).
Tz. 17
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Mit der Besonderheit, dass der Steuergläubiger – im Unterschied zu sonstigen Gläubigern – seine Ansprüche selbst zwangsweise durchsetzen kann, ist eine weitere Vorzugsstellung verbunden. Während ein gewöhnlicher Gläubiger, der nicht zu seinem Geld kommt, auf kostspielige Auspfändung angewiesen ist, hat der Steuergläubiger die Befugnis, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Stpfl. zu ermitteln und kann nach dem Ergebnis dieser Ermittlungen mit der Beitreibung vorgehen. Zu diesem Zweck gewährt § 249 Abs. 2 AO der Finanzbehörde im Vollstreckungsverfahren dieselben Befugnisse, die ihr auch sonst gem. §§ 85ff. AO im Steuerermittlungsverfahren zustehen. Darüber hinaus kann die Finanzbehörde die Erteilung einer Vermögensauskunft und dessen eidesstattliche Versicherung verlangen (§ 284 AO). Das Amtsgericht wird nur beteiligt, wenn der Stpfl. ohne ausreichende Entschuldigung in dem zur Abgabe der eidesstattlichen Versicherung anberaumten Termin vor der Finanzbehörde nicht erschienen ist oder ohne Grund die Vorlage des Vermögensverzeichnisses oder die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung verweigert (§ 284 Abs. 8 AO).
Tz. 18
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Andererseits besteht für die Finanzbehörden aus dem rechtsstaatlich allgemein geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine über das zivilprozessuale Vollstreckungsrecht hinausgehende Schonungspflicht (Rücksichtnahme auf persönliche Verhältnisse des Vollstreckungsschuldners). Das FA muss bei gleicher Eignung das für den Vollstreckungsschuldner am wenigsten lästige Mittel wählen (s. Kruse in Tipke/Kruse, § 249 AO Rz. 13 ff.; FG Hessen v. 23.10.2013, 1 V 1941/13, juris; s. § 309 AO Rz. 4 ff.).
Tz. 19
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Auf die Interessen Dritter hat das FA keine Rücksicht zu nehmen. Allgemein gilt, dass kein Vollstreckungsgläubiger bei der Durchsetzung seiner Ansprüche au...