Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
I. Inhalt
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die einstweilige Anordnung ist eine vorläufige Regelung, zu der der Gesetzgeber das Finanzgericht im Rahmen des § 114 FGO ermächtigt hat. Die zu ergreifenden Maßnahmen müssen sich aus den einschlägigen Vorschriften des Abgabenrechts rechtfertigen und sich im Rahmen dieser Vorschriften halten. Das Finanzgericht darf dem Antragsteller nichts zubilligen, was ihm nicht auch die Finanzbehörde gewähren könnte, wobei das Gericht jedoch nicht lediglich auf solche vorläufigen Maßnahmen beschränkt ist, die – ohne entsprechende Anordnung durch das Gericht – auch die Finanzbehörde treffen könnte. Insoweit stellt § 114 FGO eine eigenständige Ermächtigung dar. Die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit des Widerrufs eines begünstigenden Verwaltungsaktes, desgl. ein Widerrufsvorbehalt der Behörde im Einzelfalle, bildet für sich allein kein Hindernis für die Anordnung des einstweiligen Fortbestandes der in Rede stehenden Rechtsposition; denn die Übung dieses Ermessens (durch Widerruf) bildet ja gerade den Anlass des Antrages auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und damit den Gegenstand dieser Anordnung selbst.
Tz. 16
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Welcher Inhalt der einstweiligen Anordnung im Einzelnen zu geben ist, entscheidet das Finanzgericht im Rahmen der einschlägigen gesetzlichen Vorschriften und ihrer Zweckbestimmung nach freiem Ermessen (§ 938 ZPO). Es darf aber über das Begehren des Antragsstellers nicht hinausgehen (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). In Betracht kommt in erster Linie die Aufhebung der die streitige Rechtsposition schmälernden Handlung; das Gericht kann der Behörde aber auch aufgeben, diese oder jene Maßnahme zu ergreifen oder zu unterlassen, z. B. die Einziehung von Beträgen, bezüglich deren Billigkeitsmaßnahmen angestrebt werden. Die Anordnung kann – auch innerhalb der Prozessdauer – befristet werden. Das Gericht kann dem Antragsteller auch die Leistung einer Sicherheit auferlegen (§ 921 Abs. 2 Satz 2 ZPO), jedoch nur im Rahmen etwa gefährdeter Abgabenansprüche. Dies kommt vor allem dann zu tragen, wenn zu befürchten ist, dass bei einem Obsiegen der Finanzbehörde deren Forderungen nicht mehr realisierbar sind.
Tz. 17
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ist ein außergerichtlicher Rechtsbehelf oder eine Klage in der Hauptsache noch nicht anhängig, muss das Gericht dem Antragsteller auf Antrag des Antragsgegners aufgeben, den zulässigen Rechtsbehelf innerhalb einer bestimmten Frist einzulegen (§ 926 ZPO). Bei einer einstweiligen Anordnung, die die Einziehung von Beträgen, deren Erlass im Billigkeitswege angestrebt wird, zum Gegenstand hat, ist als Hauptsacheverfahren das die Stundung des vom Erlassantrag erfassten Betrags betreffende Verfahren anzusehen. Lässt der Antragsteller die Frist verstreichen, ist die einstweilige Anordnung auf Antrag nach mündlicher Verhandlung (§ 114 Abs. 3 FGO i. V. m. § 926 Abs. 2 ZPO) durch Beschluss aufzuheben (gl. A. Loose in Tipke/Kruse, § 114 FGO Rz. 86; Koch in Gräber, § 114 FGO Rz. 104). Wegen der Schadensersatzpflicht in solchen Fällen s. Abs. 3 i. V. m. § 945 ZPO.
II. Wirkungsdauer
Tz. 18
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Als Maßnahme vorläufigen Rechtsschutzes wirkt die einstweilige Anordnung höchstens bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Hauptsachverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist (s. auch BFH v. 10.08.1978, IV B 41/77, BStBl II 1978, 584). Die Beschränkung etwa auf die Zeit bis zum Ablauf eines Monats nach Beendigung der Instanz ist ebenso zulässig wie eine Befristung auf einen Zeitpunkt während des Laufs des Hauptsacheverfahrens. Letzteres erscheint jedoch nur dann sinnvoll, wenn z. B. damit eine Auflage im Hauptsacheverfahren verbunden ist, etwa noch ausstehende Unterlagen nachzureichen.
III. Entscheidung des Gerichts, Rechtsmittel
Tz. 19
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Zuständig ist nach § 114 Abs. 2 Satz 1 und 2 FGO das Gericht der Hauptsache des ersten Rechtszugs, also das FG (Senat oder Einzelrichter, §§ 6, 79a Abs. 2, 3 FGO). Der BFH ist auch dann nicht für die Entscheidung über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zuständig, wenn sich das Hauptsacheverfahren bereits im Beschwerdeverfahren gegen die Nichtzulassung der Revision befindet (BFH v. 27.08.2012, V S 25/12, BFH/NV 2012, 1994). In dringenden Fällen kann der Vorsitzende entscheiden (§ 114 Abs. 2 Satz 3 FGO). Die Entscheidung ergeht stets durch Beschluss (§ 114 Abs. 4 FGO), der zu begründen ist (§ 113 Abs. 2 Satz 2 FGO). Das Rechtsmittel der Beschwerde ist nur gegeben, wenn diese in der Entscheidung (nicht erst später) zugelassen ist (§ 128 Abs. 3 FGO). Ansonsten ist der Beschluss unanfechtbar, auch eine NZB ist nicht statthaft (BFH v. 23.05.2006, VII B 52/06, n. v.; BFH v. 30.08.2006, IX B 139/06, BFH/NV 2007, 73).
Beschlüsse über eine einstweilige Anordnung erwachsen – anders als solche im Vollziehungsaussetzungsverfahren (s. § 69 Abs. 6 FGO) – in materielle Rechtskraft (BFH v. 18.12.1991, II B 112/91, BStBl II 1992, 250). Nach Ablehnung eines Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist ein erneuter Antrag dem...