Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 8
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 44 Abs. 2 AO befasst sich mit der Frage, inwieweit sich Tatsachen, die nur in Bezug auf einen Gesamtschuldner in Erscheinung treten, auf den oder die anderen Gesamtschuldner auswirken.
I. Erfüllung, Aufrechnung und Sicherheitsleistung
Tz. 9
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO übernimmt wörtlich § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB, wonach die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner wirkt. Erfüllung bedeutet Begleichung der Schuld, hinsichtlich der das Gesamtschuldverhältnis besteht. Gleichgültig ist, ob die Erfüllung durch freiwillige Zahlung oder im Vollstreckungsweg erfolgt. Hat ein Gesamtschuldner die gegen ihn unanfechtbar festgesetzte Steuer getilgt, darf deshalb gegen einen anderen Gesamtschuldner kein Steuerbescheid mehr erlassen werden, selbst wenn er dies beantragt (BFH v. 04.06.1975, II R 7/73, BStBl II 1975, 895). Zur Tilgung s. §§ 224, 225. Wird zusammenveranlagte Einkommensteuer von einem Ehegatten getilgt, kann das FA mangels entgegenstehender ausdrücklicher Absichtsbekundungen aufgrund der zwischen den Ehegatten bestehenden Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft davon ausgehen, dass die Zahlung auf die gemeinsame Steuerschuld bewirkt ist. Das hat zur Folge, dass im Falle einer späteren Erstattung nach § 37 Abs. 2 AO beide Ehegatten gemeinsam berechtigt sind (BFH v. 15.11.2005, VII R 16/05, BStBl II 2006, 453).
Tz. 10
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Auch wenn im Wege der Aufrechnung durch einen der Gesamtschuldner bzw. gegenüber einem der Gesamtschuldner die Schuld zum Erlöschen gebracht wird, wirkt dies auch für die übrigen Gesamtschuldner (s. § 44 Abs. 2 Satz 2 AO erste Alternative).
Tz. 11
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Wird gesamtschuldnerisch die Leistung von Sicherheiten geschuldet, wirkt die Sicherheitsleistung durch einen der Gesamtschuldner auch für die übrigen Schuldner (§ 44 Abs. 2 Satz 2 AO zweite Alternative).
II. Andere Tatsachen
Tz. 12
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Andere Tatsachen wirken nur für und gegen den Gesamtschuldner, in dessen Person sie eintreten (s. § 425 BGB). So berührt eine Stundung (s. § 222), die einem Gesamtschuldner gewährt wird, nur diesen und lässt die Fälligkeit der Forderung gegenüber den anderen Gesamtschuldnern unberührt. Dasselbe gilt für die Aussetzung der Vollziehung (s. § 361). Ein Billigkeitserlass (s. § 227) bringt nur die Schuld desjenigen Gesamtschuldners zum Erlöschen, demgegenüber er gewährt worden ist (s. auch § 191 Abs. 5 Nr. 2 AO für den Fall der Haftung). Dies gilt unabhängig davon, ob der Erlass aus persönlichen oder sachlichen Billigkeitsgründen (s. § 227 AO Rz. 43) ausgesprochen wurde. Diese Unterscheidung kann sich nur auf die Frage der ermessensgerechten Heranziehung der anderen Gesamtschuldner auswirken. Im Falle der sachlichen Unbilligkeit wird sich regelmäßig die Geltendmachung gegenüber allen Gesamtschuldnern verbieten bzw. die Ausdehnung des Erlasses auf diese gebieten. Die Wirkungen eines Insolvenzplans nach § 254 Abs. 1 InsO stehen einer Erfüllung nicht gleich (FG Sa v. 23.11.2011, 2 K 1683/09, ZIP 2012, 1191).
Tz. 13
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Auch die Zahlungsverjährung läuft grundsätzlich gegen jeden Gesamtschuldner gesondert (s. § 231 AO Rz. 18; § 191 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 AO für den Fall der Haftung). Im Fall der Konfusion infolge einer Fiskalerbschaft erlischt nur die Schuld des Erblassers (BFH v. 07.03.2006, VII R 12/05, BStBl II 2006, 584).
Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Der Umstand, dass gegen einen der Gesamtschuldner die Steuer bereits unanfechtbar festgesetzt ist, steht der Festsetzung einer höheren Steuer gegenüber den anderen Gesamtschuldnern selbst dann nicht entgegen, wenn die unanfechtbare Festsetzung fehlerhaft war und ihre Änderung nicht nach §§ 172ff. AO möglich ist (BFH v. 13.05.1987, II R 189/83, BStBl II 1988, 188; BFH v. 08.03.2017, II R 31/15, BFHE 257, 353). Der bestandskräftige Bescheid entspricht einem Urteil i. S. des § 425 Abs. 2 BGB. Auch die Herabsetzung der Steuerschuld (z. B. durch geänderten Steuerbescheid oder aufgrund eines Rechtsbehelfsverfahrens) wirkt nur gegenüber denjenigen Gesamtschuldnern, denen gegenüber der geänderte Steuerbescheid ergangen ist (s. § 155 Abs. 3 Satz 1 AO und § 124 Abs. 1 AO) bzw. die an dem Rechtsbehelfsverfahren i. S. des § 359 AO, §§ 57, 122 FGO beteiligt waren.
III. Innenverhältnis
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ausschließlich nach bürgerlichem Recht zu beantworten ist die Frage, ob und inwieweit die Gesamtschuldner einander im Innenverhältnis zum Ausgleich verpflichtet sind (s. § 426 Abs. 1 BGB; BFH v. 15.01.2003, II R 23/01, BStBl II 2003, 267). Das Steuerschuldverhältnis wird dadurch nicht berührt.