Katharina Wagner, Dr. Klaus J. Wagner
I. Allgemeines
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die FGO sieht ausdrücklich weder die Anschlussrevision noch die Anschlussbeschwerde vor. Beide "Anschlussrechtsmittel" sind aber trotzdem im finanzgerichtlichen Verfahren zulässig.
Von den Anschlussrechtsmitteln zu unterscheiden sind die selbstständigen (Haupt)Rechtsmittel, die die Prozessparteien, weil die angegriffene Entscheidung sie beide beschwert, unabhängig voneinander eingelegt haben. Hat beispielsweise ein durch das FG-Urteil beschwerter Beteiligter innerhalb der für ihn laufenden Revisionsfrist (wie schon vorher der Prozessgegner) statthaft Revision eingelegt, so ist es u. E. nicht zutreffend, von (selbstständiger) Anschlussrevision zu sprechen. In förmlicher Hinsicht unterfällt die Revision den für sie geltenden Regeln. Der Ausdruck "selbstständige Anschlussrevision" ist hierfür – wenn auch gebräuchlich – so doch irreführend; es handelt sich vielmehr um ein "normale" Revision.
Ein – stets "unselbstständiges Anschlussrechtsmittel" liegt vor, wenn sich der Revisionsbeklagte bzw. der Beschwerdegegner nach Ablauf der Rechtsmittelfrist dem Rechtsmittel des Revisionsklägers bzw. des Beschwerdeführers anschließt (BFH v. 09.05.2000, VIII R 77/97, BStBl II 2000, 660). Der Bestand dieses "Anschlussrechtsmittels" ist von der Zulässigkeit und Nichtrücknahme des (Haupt)Rechtsmittels abhängig (BFH v. 12.01.1968, VI R 140/67, BStBl II 1968, 121; BFH v. 15.03.1994, IX R 6/91, BStBl II 1994, 599; BFH v. 15.09.2006, VII S 16/05, BFH/NV 2007, 455). Unselbstständige Anschlussrechtsmittel sind nicht zulässig, wenn sie wegen eines anderen als des mit dem (Haupt)Rechtsmittel angegriffenen Steuerfalls erhoben werden (BFH v. 17.10.1984, I R 22/79, BStBl II 1985, 69). Ist bei objektiver Klagehäufung Revision nur wegen eines Streitjahres eingelegt worden, so kann die unselbstständige Anschlussrevision die Nachprüfung der angefochtenen Entscheidung nicht auf ein anderes Streitjahr ausdehnen (BFH v. 03.07.1979, VII R 53/76, BStBl II 1979, 655). Bei subjektiver Klagehäufung kann zulässig Anschlussrevision nur gegen denjenigen Beteiligten erhoben werden, der selbst Revision eingelegt hat (BFH v. 30.06.1976, II R 3/69, BFHE 119, 492). Dasselbe gilt für die Anschlussbeschwerde.
II. Anschlussrevision
Tz. 16
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Die unselbstständige Anschlussrevision ist spätestens einen Monat nach Zustellung der Revisionsbegründung einzulegen und zu begründen (§ 554 Abs. 2 Satz 2 ZPO i. V. m. § 155 FGO; BFH v. 09.05.2000, VIII R 77/97, BStBl II 2000, 660), ist also fristgebunden. In förmlicher Hinsicht erfolgt die Anschließung durch Einreichung der Revisionsanschlussschrift beim BFH (§ 554 Abs. 1 Satz 2 ZPO i. V. m. § 155 FGO); eine fristgerechte Einreichung beim FG ist nicht möglich. Eine unzulässige Revision kann in eine unselbstständige Anschlussrevision umgedeutet werden, wenn deren Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind (BFH v. 22.05.1979, VIII R 218/78, BStBl II 1979, 741; BFH v. 12.12.2012, I R 69/11, BFH/NV 2013, 840 m. w. N.); sie kann sich als solche ausnahmsweise auf die Anfechtung der Kostenentscheidung (s. § 145 Abs. 1 FGO) beschränken (BFH v. 02.06.1971, III R 105/70, BStBl II 1971, 675; BFH v. 27.09.1994, VIII R 36/89, BStBl II 1995, 353). Die Anschlussrevision bedarf – abgesehen von der Frist – der Erfüllung der Zulässigkeitsvoraussetzungen des Rechtsmittels (s. Rz. 3 ff.).
Da die unselbstständige Anschlussrevision ihrem Bestande nach vom Schicksal der (Haupt)Revision abhängig ist, bewirkt die Einwilligung in die Rücknahme der Revision die Wirkungslosigkeit der Anschlussrevision. Wirkungslos wird die unselbstständige Anschlussrevision auch durch Verwerfung der Revision als unzulässig (§ 554 Abs. 4 ZPO i. V. m. § 155 FGO). Sie ist mangels Devolutiv- und Suspensiveffekt in Wahrheit kein Rechtsmittel, sondern hat die Bedeutung eines Antrags innerhalb der vom Revisionsführer eingelegten Revision (BFH v. 04.10.1983, VII R 16/82, BStBl II 1984, 167; BFH v. 20.09.1999, III R 33/97, BStBl II 2000, 208).
Aus der Verknüpfung von Revision und unselbstständiger Anschlussrevision folgt, dass über beide Rechtsmittel gemeinsam verhandelt und entschieden werden muss. Erweist sich die Revision als zulässig aber unbegründet, die unselbstständige Anschlussrevision jedoch als begründet, so ist das angefochtene Urteil – entgegen dem sonst herrschenden Grundsatz des Verböserungsverbots zulasten des Revisionsklägers im Revisionsverfahren – zum Nachteil des Revisionsführers abzuändern.
Für die Kostenentscheidung gilt die Anschlussrevision als selbstständiges Rechtsmittel; die Streitwerte sind zusammenzurechnen (BFH v. 23.08.1967, I R 183/66, BStBl II 1968, 60; BFH v. 09.11.1994, XI R 33/83, BFH/NV 1995, 621). Für die Kostenentscheidung gelten §§ 135, 136 FGO. Wird die Anschlussrevision deshalb wirkungslos, weil der Revisionskläger nach erfolgter Anschließung die Revision zurücknimmt, fallen ihm die Gesamtkosten zur Last (BFH v. 13.03.1981, III R 83/80, BStBl II 1981, 441). Ist die Anschlussrevision wegen Unzuläss...