Tz. 14
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Eine lediglich nachträgliche Ausübung eines Wahlrechts oder der Widerruf eines bereits ausgeübten Wahlrechts ist keine nachträglich bekannt gewordene Tatsache i. S. des § 173 AO, sondern Verfahrenshandlung (BFH v. 04.11.2004, III R 73/03, BStBl II 2005, 290; von Wedelstädt, AO-StB 2012, 150, 152 m. w. N.; AEAO Vor §§ 172–177, Nr. 8.5.5; AEAO zu § 173, Nr. 1.1.2 und 3.2; s. Vor §§ 172–177 AO Rz. 13 ff.). Jedoch liegt ausnahmsweise ein rückwirkendes Ereignis i. S. des § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 AO vor, wenn der Antrag oder die Ausübung des Wahlrechtes selbst Bestandteil des gesetzlichen Tatbestandes ist (BFH v. 12.07.1989, X R 8/84, BStBl II 1989, 957; auch AEAO zu Vor §§ 172–177, Nr. 8.5.5). Entscheidend ist, ob der ursprüngliche Bescheid auch hätte ergehen können oder gar müssen, wenn die Finanzbehörde die nachträglich bekannt gewordene Tatsache gekannt hätte. Der Antrag ist kein objektives Tatbestandsmerkmal, das unabhängig vom Willen des Stpfl. besteht (BFH v. 29.08.1969, VI R 235/67, BStBl II 1970, 33; BFH v. 13.02.1974, I R 114/72, BStBl II 1974, 317). Werden die für den Antrag relevanten Tatsachen jedoch erst nachträglich bekannt, berechtigt ein fristgerechter Antrag oder ein unbefristetes steuerliches Wahlrecht zu einer Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO (Steuerminderung: BFH v. 28.09.1984, VI R 48/82, BStBl II 1985, 117; BFH v. 25.09.1992, IX R 41/91, BStBl II 1992, 621; von Wedelstädt in Gosch, § 173 AO Rz. 22; s. AEAO zu § 173, Nr. 3.2). Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass den Stpfl. kein grobes Verschulden daran trifft, dass die Tatsachen oder Beweismittel erst nachträglich bekannt werden (§ 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AO, s. Rz. 38 ff.). Das Verschulden ist jedoch gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO unbeachtlich, wenn die Tatsachen oder Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismitteln i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO stehen. In Betracht kommt zudem die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gem. § 110 AO (Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 18). Nach Ablauf der Frist können Tatsachen auch im Zusammenhang mit anderweitigen Änderungen (§§ 172ff. AO) im Rahmen des § 177 AO bzw. § 351 Abs. 1 AO berücksichtigt werden (von Wedelstädt in Gosch, § 173 AO Rz. 22).
Tz. 15
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Ist ein Antrag fristgebunden bzw. die Antragsfrist mit der Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung gekoppelt (z. B. § 19 Abs. 2 Satz 1 UStG), kann der Antrag im Zusammenhang mit einer Änderung nach § 173 Abs. 1 AO keine Auswirkungen haben. Solche Tatsachen und Beweismittel sind nicht rechtserheblich, denn die Unanfechtbarkeit hindert ihre Geltendmachung (Loose in Tipke/Kruse, § 173 AO Rz. 18). Zur Frage, ob nach Eintritt der Bestandskraft gestellte Anträge im Zuge der Saldierung (§ 177 AO) Berücksichtigung finden können, s. § 177 AO Rz. 12.