Karl Blesinger, Dr. Andreas Viertelhausen
Tz. 25c
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ 371 Abs. 1 AO postuliert das Vollständigkeitsgebot, indem dort angeordnet wird, dass die Selbstanzeige vollumfänglich zu allen unverjährten Steuerstraftaten einer Steuerart, zumindest aber für die letzten zehn Kalenderjahre zu erfolgen hat. Von diesem Vollständigkeitsgebot machen die Vorschriften des § 371 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 2a AO Ausnahmen. Diese Regelungen treten nach Art. 3 des Gesetzes zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung zum 01.01.2015 in Kraft. Da hierdurch der Strafaufhebungsgrund der Selbstanzeige in den dort genannten Fällen unangetastet bleibt, sind die Regeln als milderes Gesetz nach § 3 Abs. 3 StGB auch auf Taten anzuwenden, die vor dem 01.01.2015 beendet wurden.
I. § 371 Abs. 2 Satz 2 AO
Tz. 25d
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
Durch § 371 Abs. 2 Satz 2 AO wird ermöglicht, dass trotz Bekanntgabe der Prüfungsanordnung oder des Erscheinens eines Amtsträgers zur steuerlichen Prüfung eine strafbefreiende Selbstanzeige für Zeiträume abgegeben werden kann, die nicht der Sperrwirkung des § 371 Abs. 2 Nummer 1 Buchst. a und c AO unterliegen. Das Vollständigkeitsgebot nach § 371 Abs. 1 AO wird dadurch auf die Steuerstraftaten einer Steuerart begrenzt, die nicht Gegenstand des sachlichen und zeitlichen Umfangs einer Prüfung sind. Hat z. B. ein Stpfl. die Einkommen-, Gewerbe- und Umsatzsteuer aller Veranlagungszeiträume seit 01 verkürzt und wird ihm am 01.06.10 eine Prüfungsanaordnung wegen dieser Steuerarten für die Jahre 06 bis 08 bekanntgegeben, so tritt für die Jahre 06 bis 08 die Sperrwirkung nach § 371 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. a AO ein. Wegen § 371 Abs. 2 Satz 2 AO kann der Stpfl. für die Jahre 01 bis 05 eine wirksame strafbefreiende Selbstanzeige abgeben, das Vollständigkeitsverbot des § 371 Abs. 1 Satz 2 AO ist suspendiert. Der Stpfl. muss sich wegen der Jahre 06 bis 08 nicht selbst belasten ohne eine wirksame Selbstanzeige erstatten zu können.
II. § 371 Abs. 2a AO
Schrifttum
Erdbrügger/Jehke, Die Erleichterungen bei der strafbefreienden Selbstanzeige im Bereich der Umsatz- und Lohnsteuer zum 1.1.2015, DStR 2015, 385.
Tz. 25e
Stand: 22. Auflage – ET: 10/2018
§ § 371 Abs. 2a AO stellt für Steueranmeldungen die Rechtslage wieder her, wie sie vor dem Schwarzgeldbekämpfungsgesetz galt. Das ist eine Folge des praktischen Bedürfnisses nach Rechtssicherheit. Satz 1 führt wieder die Möglichkeit der Teilselbstanzeige ein. Wird eine unvollständige oder unrichtige Lohnsteueranmeldung oder Umsatzsteuervoranmeldung verspätet abgegeben, so bewirkt das Straffreiheit, soweit die Angaben richtig sind. Auch eine korrigierte Steueranmeldung (Lohnsteuer- oder Umsatzsteuervoranmeldung), die nach Satz 1 eine wirksame Selbstanzeige darstellt, kann erneut durch eine geänderte Voranmeldung oder Jahresanmeldung korrigiert werden. Satz 2 lässt in diesem Fall den Ausschlussgrund der Tatentdeckung des § 371 Abs. 2 Nr. 2 AO zurücktreten. Das gilt aber nicht in den Fällen des § 18 Abs. 2 Satz 3 UStG, in denen keine Umsatzsteuervoranmeldung abgegeben werde muss (Satz 3). Wird eine Steuerjahresanmeldung korrigiert, macht Satz 4 vom Vollständigkeitsgebot des § 371 Abs. 1 AO insoweit eine Ausnahme, als nicht auch die Voranmeldezeiträume nachfolgender Zeiträume korrigiert werden müssen.